Der Landesverband Bayern der Gehörlosen e. V. (LVBYGL) vertritt offiziell die Interessen der Gehörlosen auf Landesebene. Er soll Ansprechpartner für Politik, Behörden und Gesellschaft sein – und sich für Inklusion, Barrierefreiheit und Selbstbestimmung einsetzen. Doch viele gehörlose Menschen in Bayern stellen sich seit Jahren eine kritische Frage: Tut der LVBYGL wirklich genug für die Gehörlosengemeinschaft?
In Gesprächen mit Betroffenen, aus Rückmeldungen in sozialen Medien und durch eigene Erfahrungen wird deutlich: Es gibt massive Probleme – und der Verband scheint auf viele davon nur langsam oder gar nicht zu reagieren.
1. Fehlende Struktur und Transparenz
Ein zentrales Problem ist der fehlende Einblick in die Struktur und Arbeit des LVBYGL. Wer ist wofür zuständig? Wie werden Entscheidungen getroffen? Gibt es demokratische Beteiligung? Viele Mitglieder wissen es nicht.
Die Website des LVBYGL informiert kaum über aktuelle Aktivitäten und eigene Leistungen. Protokolle von Mitgliederversammlungen sind nicht öffentlich. Viele Veranstaltungen wirken intern und wenig offen für Außenstehende. Gerade junge Gehörlose oder Migrant*innen mit Hörbehinderung fühlen sich nicht eingebunden. Hier fehlt eine moderne, digitale und barrierefreie Öffentlichkeitsarbeit.
2. Dolmetschervermittlung: unorganisiert und unzuverlässig
Die Dolmetscherversorgung ist seit Jahren ein Dauerthema. Zwar ist der LVBYGL nicht direkt für die Vermittlung zuständig – aber als Interessenvertretung hätte er politisch mehr Druck machen können und müssen.
Viele Gehörlose in Bayern erleben:
- Monatelange Wartezeiten auf Dolmetscher:innen
- Unübersichtliche Vermittlungsstellen, die oft nicht erreichbar sind
- Dolmetscher sagen kurzfristig ab oder erscheinen nicht
- Keine klaren Notfallregelungen
Anstatt aktiv zu werden, hat der LVBYGL das Thema lange hingenommen. Es fehlen Konzepte, wie man mit Freiberuflern besser koordinieren oder neue Kommunikationshilfen einbinden könnte. Auch die Frage der Wahlfreiheit – ob auch qualifizierte Kommunikationsassistenzen bezahlt werden dürfen – wird kaum öffentlich diskutiert.
3. Notdienste: Für Gehörlose nicht geeignet
Ein echter Skandal: In Bayern gibt es keinen funktionierenden Notdienst mit Gebärdensprache – weder bei medizinischen Notfällen, noch bei Polizei oder psychischen Krisen.
Die Notruf-App „nora“ ist zwar ein Schritt, aber in der Praxis nicht barrierefrei genug:
- Viele taube Menschen können nicht gut schreiben
- In Stresssituationen ist Tippen zu langsam
- Kein direkter Zugang zu Dolmetschern in Echtzeit
Der LVBYGL hat es in den letzten Jahren versäumt, hier ein eigenes Konzept zu entwickeln oder mit Behörden verlässliche Strukturen zu schaffen. Andere Bundesländer sind da weiter.
4. Kaum Zusammenarbeit mit Behörden
Es fehlt an verbindlichen Partnerschaften mit wichtigen Stellen wie:
- Krankenhäusern
- Polizei
- Jugendämtern
- Schulen
- Arbeitsagenturen
Immer wieder berichten Gehörlose, dass sie in solchen Situationen nicht verstanden oder falsch behandelt werden, weil keine Dolmetscher:innen verfügbar sind.
Der LVBYGL hätte längst flächendeckende Kooperationsvereinbarungen fordern müssen – doch stattdessen bleibt es oft bei unverbindlichen Gesprächen ohne konkrete Ergebnisse. Auch Schulungsprogramme für Behördenmitarbeiter fehlen.
5. Kommunikationsbarrieren bleiben bestehen
Trotz aller Versprechen: In der Praxis sind viele Barrieren nach wie vor Realität. Ob Arztbesuche, Gerichtstermine oder Elterngespräche in der Schule – oft fehlt die barrierefreie Kommunikation.
Es gibt zu wenig:
- Gebärdensprachdolmetscher:innen
- einfache Sprache
- Informationsvideos in DGS
- Beratungsangebote in Gebärdensprache
Der LVBYGL reagiert häufig nur punktuell oder zu spät. Eine offensive Kampagne für mehr Barrierefreiheit? Fehlanzeige. Hier wünschen sich viele Mitglieder deutlich mehr Mut und Durchsetzungskraft.
6. Zu wenig politische Lobbyarbeit
Während sich andere Behindertenverbände aktiv in die Gesetzgebung einbringen, bleibt der LVBYGL oft passiv oder unsichtbar. Bei wichtigen Themen wie dem Bundesteilhabegesetz, Notfallversorgung oder Inklusion in Bildungseinrichtungen hörte man vom LVBYGL kaum öffentliche Stellungnahmen.
Die Folge: Viele politische Entscheidungen gehen an der Lebensrealität der Gehörlosen vorbei.
Tipps und Forderungen: Was sich ändern muss
Damit der Landesverband wieder glaubwürdig und stark wird, braucht es dringend Veränderungen. Hier einige wichtige Vorschläge:
- Transparente Struktur schaffen: Zuständigkeiten, Protokolle und Entscheidungen offenlegen. Mehr Beteiligung ermöglichen.
- Professionelle Öffentlichkeitsarbeit aufbauen: Mit Videos in DGS, sozialen Medien und digitalen Angeboten.
- Engagierte Dolmetschpolitik betreiben: Mit Konzepten für bessere Koordination, fairer Bezahlung und Einbindung alternativer Kommunikationshilfen.
- Notfallversorgung sichern: Landesweite Bereitschaftsdienste mit GSD aufbauen.
- Feste Kooperationen mit Behörden durchsetzen: Verbindliche Verträge, Schulungen, klare Abläufe.
- Politisch aktiver werden: Öffentliche Stellungnahmen, Petitionen, Druck auf Landespolitik.
- Junge Menschen einbinden: Der Verband braucht neue Impulse und frische Perspektiven.
Fazit: Kritik ist notwendig – für eine bessere Zukunft
Der Landesverband Bayern der Gehörlosen hat eine große Verantwortung. Doch viele Menschen fühlen sich nicht gut vertreten. Es braucht dringend einen Wandel – mehr Transparenz, mehr Einsatz, mehr Nähe zur Basis. Nur so kann echte Inklusion gelingen.
Die Deaf-Community in Bayern ist stark, selbstbewusst und bereit, sich einzubringen. Jetzt muss auch der Verband zeigen, dass er für alle Gehörlosen in Bayern da ist – nicht nur für einige wenige.
Hinweis:
Dieser Bericht stellt eine journalistische Zusammenfassung dar und enthält sowohl belegbare Fakten als auch Meinungsäußerungen im Sinne des Artikels 5 Grundgesetz. Die Redaktion von Deaf24 hat alle Informationen sorgfältig recherchiert. Betroffene Organisationen und Personen können auf Wunsch eine Stellungnahme abgeben, die wir gerne veröffentlichen.

