Die rasante Entwicklung von Künstlicher Intelligenz (KI) verändert derzeit viele Lebensbereiche – auch für die Gehörlosengemeinschaft. Bei der 5. WFD-Konferenz (World Federation of the Deaf) in Nairobi, Kenia, vom 12. bis 14. August 2025 stand das Thema „KI und Gebärdensprachen“ im Mittelpunkt.
Die zentrale Frage lautet: Welche Chancen und Risiken bringt KI für die Rechte gehörloser Menschen und ihre Sprachen? Expert:innen, Forscher:innen und Vertreter:innen aus Gehörlosenorganisationen diskutierten intensiv über technische Innovationen, ethische Fragen und die notwendige Beteiligung der Community.
Chancen: Neue Wege für Barrierefreiheit
Viele sehen in KI eine große Chance. Besonders im Bereich automatische Erkennung und Übersetzung von Gebärdensprachen könnten neue Technologien Türen öffnen:
- Barrierefreier Zugang zu Informationen. Nachrichten, Behördenkontakte oder Bildungsangebote könnten einfacher in Gebärdensprache verfügbar sein.
- Unterstützung in Alltagssituationen. KI-gestützte Tools könnten Gehörlosen helfen, spontanen Zugang zu Kommunikation zu bekommen – zum Beispiel in Geschäften, bei Reisen oder in Gesprächen mit Hörenden.
- Neue Bildungsangebote. KI könnte Lehrmaterialien in Gebärdensprache schneller bereitstellen und so gehörlosen Kindern mehr Lernchancen bieten.
Die Vision: KI soll Barrieren abbauen und Gehörlosen mehr Selbstständigkeit ermöglichen.
Risiken: Gefahr der Ausgrenzung und Fehler
Doch Expert:innen warnten auch deutlich: KI ist kein Wundermittel.
- Fehlerhafte Übersetzungen. Automatische Systeme können Gesten oder Gebärden falsch erkennen. Das kann zu Missverständnissen führen – mit teils ernsten Folgen, etwa in medizinischen oder rechtlichen Situationen.
- Datenschutzprobleme. Für das Training von KI werden große Mengen an Videodaten benötigt. Die Frage: Wer besitzt diese Daten? Werden sie sicher gespeichert?
- Bias und Vorurteile. Wenn KI nur mit Daten einer bestimmten Gebärdensprache trainiert wird, können Minderheiten und regionale Varianten benachteiligt werden. Es droht die Gefahr, dass eine „Standard-Gebärdensprache“ entsteht und Vielfalt verloren geht.
- Ausschluss der Community. Viele KI-Projekte werden ohne Beteiligung der Gehörlosen entwickelt. Dadurch entstehen Systeme, die im Alltag wenig nützen oder sogar diskriminierend wirken.
Workshop von Dr. Maartje De Meulder
Eine zentrale Rolle auf der Konferenz spielte der Workshop von Dr. Maartje De Meulder aus Belgien, Expertin für Sprachpolitik und KI. Ihre Botschaften waren klar:
- KI versteht Sprache nicht wirklich. Sie erkennt nur Muster in Daten. Alles hängt davon ab, wie Menschen die KI trainieren. Fehler und Verzerrungen sind deshalb unvermeidbar.
- Beteiligung ist entscheidend. Gehörlose müssen bei der Entwicklung von KI-Projekten zur Gebärdensprache von Anfang an mitreden – sonst entstehen Lösungen, die an der Realität vorbeigehen.
- Datenhoheit sichern. Wer besitzt die Gebärdensprach-Videos, mit denen KI trainiert wird? Die Community muss Rechte an ihren Daten behalten.
- Transparenz fordern. KI-Systeme dürfen nicht „Black Boxes“ bleiben. Es muss klar sein, wie sie funktionieren und wie Entscheidungen zustande kommen.
Zum Abschluss erhielten die Teilnehmenden eine Checkliste für KI-Projekte. Damit können Gehörlosenorganisationen prüfen:
- Ist die Community beteiligt?
- Ist das System transparent und überprüfbar?
- Sind Datenschutz und Ethik gesichert?
Warum aktive Beteiligung so wichtig ist
Die Diskussion in Nairobi zeigte: KI kann nützlich sein, wenn Gehörlose selbst mitentscheiden. Ohne ihre Perspektive besteht jedoch die Gefahr, dass KI-Projekte ihre Rechte einschränken.
Besonders gefährlich wäre es, wenn Regierungen oder Firmen KI als Ersatz für professionelle Gebärdensprachdolmetscher einsetzen. Maschinen können Kommunikation erleichtern – aber sie können die menschliche, kulturelle und soziale Dimension der Gebärdensprache nicht ersetzen.
Tipps für die Deaf-Community
- Kritisch bleiben. Prüft neue KI-Angebote genau: Wer entwickelt sie? Wird die Community einbezogen?
- Eigene Daten schützen. Achtet darauf, wo und wie eure Gebärdensprach-Videos genutzt werden.
- Engagement zeigen. Beteiligt euch an Projekten, die Gebärdensprache und KI verbinden. Eure Erfahrung ist wichtig, damit Systeme wirklich funktionieren.
- Verbände stärken. Unterstützt Organisationen wie den DGB oder die WFD, die sich international für faire Regeln bei KI einsetzen.
Fazit
Künstliche Intelligenz ist für die Gehörlosengemeinschaft sowohl Chance als auch Risiko. Sie kann Barrieren abbauen, Bildung verbessern und Kommunikation erleichtern. Gleichzeitig drohen Datenschutzprobleme, fehlerhafte Übersetzungen und eine Einschränkung der Sprachvielfalt.
Die Botschaft der WFD-Konferenz ist eindeutig: Nur mit aktiver Beteiligung der Gehörlosen kann KI wirklich hilfreich sein. Sie darf nicht ohne, sondern nur mit der Community entwickelt werden.
So zeigt Nairobi 2025: KI ist ein Werkzeug – ob es zum Vorteil oder Nachteil wird, entscheidet die Frage, wie stark die Gehörlosengemeinschaft selbst ihre Stimme erhebt.

