Taube Menschen leben in einer Welt, in der sie ständig auf Barrieren stoßen. Diese Barrieren sind oft nicht sichtbar – und genau das macht sie so belastend. Während hörende Menschen sich beim Bäcker, im Büro oder am Esstisch ganz selbstverständlich austauschen, bleiben Gehörlose häufig außen vor. Die Folge ist ein Gefühl von Isolation, das sich in vielen kleinen Situationen des Alltags zeigt.
David aus Dillingen kennt dieses Gefühl nur zu gut. Obwohl er viele Menschen kennt und regelmäßig unter Leuten ist, fühlt er sich oft allein. Der Grund: Es fehlt die gemeinsame Sprache. Während seine Mitmenschen sprechen, kann er nur zusehen – ohne Dolmetscher bleibt ihm der Inhalt des Gesprächs verschlossen. Besonders im privaten Umfeld ist selten jemand dabei, der die Deutsche Gebärdensprache (DGS) beherrscht. Das erzeugt eine tiefe innere Einsamkeit – trotz sozialer Nähe.
Wenn alltägliche Situationen zur Hürde werden
Die Ausgrenzung beginnt oft dort, wo andere Menschen gar keine Barrieren wahrnehmen. Beim Gespräch am Arbeitsplatz, in der Familie oder in einem Café: Wenn niemand gebärden kann und keine Dolmetscherin verfügbar ist, bleibt Tauben Menschen nur zuzuschauen – oder sich ganz zurückzuziehen.
Besonders schwierig wird es in medizinischen Notfällen. Wie beschreibt man Schmerzen oder Symptome, wenn man sich mit dem ärztlichen Personal nicht verständigen kann? Selbst in weniger akuten Situationen, wie einem Besuch im Restaurant, können Missverständnisse entstehen: Die Bestellung geht schief, Extrawünsche bleiben unbeachtet. Diese scheinbar kleinen Erfahrungen summieren sich über die Zeit – und verstärken das Gefühl, nicht dazuzugehören.
David beschreibt es so: „Ich bin dabei, aber nicht wirklich Teil davon.“ Er nimmt an Treffen teil, besucht Veranstaltungen – doch Gespräche laufen an ihm vorbei. In seiner Familie wird nicht gebärdet, alle sprechen nur. Obwohl die Stimmung oft herzlich ist, fühlt er sich ausgeschlossen. Dieses Gefühl ist nicht nur belastend, sondern kann langfristig zu sozialem Rückzug führen.
Gebärdensprache als Brücke zwischen den Welten
Viele hörende Menschen unterschätzen, wie wichtig Gebärdensprache für Inklusion ist. Statt sich mit der DGS auseinanderzusetzen, lernen sie lieber Sprachen wie Spanisch oder Französisch. Dabei würden bereits ein paar einfache Gebärden im Alltag vieles erleichtern.
Gebärdensprache ist mehr als ein Hilfsmittel – sie ist eine vollwertige Sprache mit eigener Grammatik, Struktur und Kultur. Wer DGS lernt, öffnet sich nicht nur einer neuen Art der Kommunikation, sondern zeigt auch Respekt gegenüber einer oft übersehenen Minderheit.
Für Taube Menschen ist Gebärdensprache kein Extra, sondern der einzige Zugang zu echter Teilhabe. Ohne sie sind sie in einer hörenden Welt stumm – nicht, weil sie nichts zu sagen hätten, sondern weil ihnen niemand zuhört.
Was jede*r Einzelne tun kann
Es braucht nicht viel, um einen Unterschied zu machen. Schon einfache Gesten können zeigen: „Ich sehe dich.“ Hier ein paar praktische Tipps, wie hörende Menschen im Alltag inklusiver handeln können:
- Augenkontakt halten: Zeigt Aufmerksamkeit und Respekt.
- Deutlich sprechen: Viele Taube lesen von den Lippen ab – langsames, deutliches Sprechen hilft.
- Grundlegende Gebärden lernen: Begrüßungen, Danke, Entschuldigung – kleine Zeichen mit großer Wirkung.
- Geduld zeigen: Nicht genervt reagieren, wenn Kommunikation länger dauert.
- Nicht über Taube sprechen, sondern mit ihnen: Auch ohne perfekte DGS-Kenntnisse kann man Fragen stellen und offen bleiben.
- Gebärdensprache-Kurse besuchen: Viele Volkshochschulen oder Online-Plattformen bieten Einsteigerkurse.
Auch Institutionen haben eine Verantwortung:
Ärztinnen, Lehrerinnen, Behördenmitarbeitende und Dienstleisterinnen sollten sensibilisiert und geschult werden. Workshops, barrierefreie Webseiten und der Einsatz von Gebärdensprachdolmetscherinnen sollten selbstverständlich sein.
Fazit: Inklusion beginnt mit Kommunikation
Die Einsamkeit von Tauben Menschen wie David ist keine individuelle Schwäche – sie ist ein Ergebnis mangelnder Kommunikation und fehlender Barrierefreiheit. Die gute Nachricht: Diese Barrieren lassen sich abbauen. Gebärdensprache ist der Schlüssel dazu.
Wenn mehr Menschen bereit wären, DGS zu lernen oder sich zumindest für die Bedürfnisse von Gehörlosen zu öffnen, könnten viele Momente des Alltags inklusiver und menschlicher werden. Es braucht kein Studium – oft reicht ein kleines Zeichen der Aufmerksamkeit, um Brücken zu bauen.
Inklusion bedeutet nicht, dass Taube sich anpassen müssen. Es bedeutet, dass die Gesellschaft sich öffnet. Und jeder Schritt in diese Richtung zählt.
Bericht von David aus Dillingen

