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Indische Gebärdensprache: Mehr Bildung für Gehörlose

by info@deaf24.com

In Indien werden Millionen gehörlose und schwerhörige Kinder von hochwertiger Bildung ausgeschlossen. Eine neue wissenschaftliche Studie ruft nun zu einem dringenden Kurswechsel auf: Die Indische Gebärdensprache (Indian Sign Language, ISL) soll als offizielle Sprache anerkannt werden. Gleichzeitig sollen mehr Schulen und Hochschulen speziell für gehörlose und schwerhörige Kinder entstehen. Der Autor der Studie, Dr. Abhimanyu Sharma von der Universität Cambridge, kritisiert die bisherige Bildungspolitik als unzureichend und fordert grundlegende strukturelle Veränderungen. Derzeit seien zu viele Kinder vom Bildungssystem ausgeschlossen – mit langfristigen Folgen für ihre Zukunft.

 

Hohe Zahl schulferner Kinder – fehlende Unterstützung

Laut einer Umfrage im Auftrag der indischen Regierung aus dem Jahr 2014 besuchten rund 19 % aller gehörlosen und schwerhörigen Kinder keine Schule. Viele dieser Kinder erhalten weder Förderung noch barrierefreien Zugang zum Unterricht. Der Hauptgrund: Indische Schulen setzen kaum auf Gebärdensprache, sondern bevorzugen nach wie vor den sogenannten Oralismus – eine Unterrichtsmethode, bei der ausschließlich Lippenlesen und Lautsprache verwendet werden.

Dr. Sharma warnt, dass diese Methode nicht nur veraltet, sondern auch nachteilig ist: „Gestik ersetzt keine Gebärdensprache. Die Gebärdensprache ist eine vollwertige Sprache – und Kinder brauchen diese, um erfolgreich zu lernen.

 

Stigmatisierung und strukturelle Probleme im Schulsystem

Gebärdensprache wird in vielen Teilen Indiens noch immer als Makel gesehen. Deshalb wird sie in Bildungseinrichtungen oft ignoriert oder sogar abgelehnt. Dieser soziale Druck trägt dazu bei, dass gehörlose Kinder häufig die Schule abbrechen oder überhaupt nicht erst eingeschult werden. Die Folge: Viele Betroffene bleiben ihr Leben lang sozial benachteiligt.

Dabei hat die indische Regierung durchaus Fortschritte gemacht. 2015 wurde das Indian Sign Language Research and Training Centre gegründet, um Forschung und Ausbildung in ISL zu fördern. Doch laut Sharma reichen diese Maßnahmen bei Weitem nicht aus. Es brauche einen grundsätzlichen Wandel in der Bildungspolitik und eine flächendeckende Förderung der ISL.

 

Forderungen an die Politik: Anerkennung, Schulen, Ausbildung

Die Studie fordert konkrete politische Schritte:

  1. Anerkennung von ISL als offizielle Sprache
    Eine offizielle Anerkennung würde nicht nur den Status der Sprache stärken, sondern auch staatliche Gelder freisetzen. Außerdem würde sie den Respekt gegenüber der Gehörlosengemeinschaft erhöhen und den Zugang zu Bildung erleichtern.
  2. ISL-Nutzende als Sprachminderheit anerkennen
    Diese Anerkennung hätte zur Folge, dass Rechte und Ressourcen bereitgestellt werden müssten – vergleichbar mit anderen sprachlichen Minderheiten in Indien.
  3. Deutlich mehr Schulen und Hochschulen für Gehörlose
    In ganz Indien gibt es nur etwa 387 Schulen für gehörlose Kinder – viel zu wenig angesichts der tatsächlichen Zahl von Betroffenen. Die Volkszählung 2011 ging von rund fünf Millionen gehörlosen Menschen aus, aber laut der National Association of the Deaf liegt die reale Zahl bei etwa 18 Millionen.
  4. Mehr Fachkräfte ausbilden
    Die Zahl der ausgebildeten Lehrkräfte mit Kenntnissen in ISL ist viel zu gering. Lehrerausbildung mit Schwerpunkt Gebärdensprache muss flächendeckend eingeführt und finanziert werden.
  5. Mehr Ausbildungsplätze für Gebärdensprachdolmetscher
    Universitäten in Indien bieten bislang nur sehr begrenzt Programme zur Dolmetscherausbildung an. Hier besteht großer Nachholbedarf.

 

Lücken zwischen Gesetzen und Realität

Gesetze zum Schutz von Menschen mit Behinderung gibt es in Indien seit vielen Jahrzehnten. Bereits das Behindertengesetz von 1995 entband gehörlose Kinder von der Pflicht, mehrere Sprachen zu lernen. Doch die Umsetzung ließ viele Fragen offen: Die Gebärdensprache wurde nicht explizit erwähnt, und es gab keine klaren Vorgaben, wie der Unterricht stattdessen gestaltet werden soll.

Erst das Gesetz von 2016 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen brachte konkretere Forderungen: Gebärdensprache soll gefördert und mehr Lehrkräfte dafür ausgebildet werden. Doch auch hier klaffen Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander. Indien hat schlicht nicht genug qualifizierte Lehrerinnen und Lehrer, um diese Vorgaben umzusetzen.

 

Öffentlichkeit aufklären, Vorurteile abbauen

Ein weiterer zentraler Punkt der Studie ist der gesellschaftliche Umgang mit Gehörlosigkeit. Noch immer gibt es viele Vorurteile – sowohl in der Gesellschaft als auch in der Bildungspolitik. Dr. Sharma fordert deshalb mehr Aufklärungskampagnen, um die Akzeptanz gegenüber Gebärdensprache zu erhöhen und diskriminierende Haltungen abzubauen.

Nur wenn Menschen mit Hörbehinderung als gleichwertig anerkannt werden, kann Inklusion funktionieren. Dazu gehören nicht nur bauliche oder technische Maßnahmen, sondern vor allem auch sprachliche Barrierefreiheit.

 

Fazit: Bildungsgleichheit ist möglich – wenn politischer Wille da ist

Dr. Sharma bleibt trotz aller Kritik zuversichtlich. Er glaubt daran, dass Indien die nötigen Schritte gehen kann – wenn es den politischen Willen gibt. Dazu gehört, die Indische Gebärdensprache offiziell anzuerkennen, den Zugang zu Bildung massiv auszubauen, qualifiziertes Personal auszubilden und die Gesellschaft für die Bedürfnisse gehörloser Menschen zu sensibilisieren.

Nur durch umfassende Reformen können Millionen gehörloser Kinder in Indien endlich die Bildung erhalten, die sie verdienen – und die ihnen zusteht. Die Zeit zu handeln ist jetzt.

 

Tipps für mehr Inklusion in Indien:

  • Politik: ISL als offizielle Sprache anerkennen und entsprechende finanzielle Mittel bereitstellen.
  • Schulen: Neue Schulen gründen und bestehende barrierefrei gestalten.
  • Ausbildung: Mehr Studiengänge für Gebärdensprachdolmetscher und Lehrer*innen mit ISL-Kompetenz.
  • Forschung: Regelmäßige Studien zur Wirkung von Bildungsmaßnahmen durchführen.
  • Gesellschaft: Vorurteile gegen Gebärdensprache aktiv bekämpfen und Aufklärungskampagnen starten.

Bild: University Cambridge

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