Am 7. Juli 2025 fand in Rom der 24. Internationale Kongress zur Bildung der Gehörlosen (ICED) statt – ein bedeutender Meilenstein im weltweiten Einsatz für die Rechte Taube Menschen. Die Veranstaltung brachte führende Organisationen der Gehörlosenbewegung zusammen: Die World Federation of the Deaf (WFD), die European Union of the Deaf (EUD) und die Nationale Gehörlosenvereinigung Italiens (ENS). Gemeinsam veröffentlichten sie eine Gemeinsame Erklärung, die weltweit neue Standards setzen soll: Gebärdensprache muss als grundlegendes Menschenrecht anerkannt werden.
Der Kongress war nicht nur ein Zusammentreffen von Fachleuten, Aktivist*innen und Betroffenen, sondern ein deutliches Signal: Die Zeit der Diskriminierung und des Sprachentzugs ist vorbei – und darf nie wieder zurückkehren.
Rückblick auf 1880: Die schmerzvolle Geschichte des Mailänder Kongresses
Der Ort Rom wurde bewusst gewählt – mit Blick auf ein dunkles Kapitel in der Geschichte Taube Menschen: den ICED-Kongress von 1880 in Mailand. Damals beschlossen internationale Bildungsvertreter, dass Gebärdensprachen in der Erziehung taube Kinder verboten werden sollten. Der sogenannte Oralismus wurde zur dominanten Methode, also die ausschließliche Verwendung der Lautsprache – ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse der Kinder.
Die Folgen dieses Beschlusses waren katastrophal:
14 Generationen taube Kinder litten unter Sprachentzug, körperlicher Gewalt (z. B. gefesselte Hände, Ohrfeigen), psychischem Missbrauch (z. B. Schamgefühle für die Nutzung ihrer Sprache) und Isolation. Diese Kinder wurden ihrer natürlichen Ausdrucksform beraubt – der Gebärdensprache.
In der Eröffnungsrede des WFD-Präsidenten hieß es unmissverständlich:
„Lassen wir die Reste des Oralismus in den Staub der Geschichte verschwinden.“
Die Worte waren nicht nur ein Rückblick, sondern ein Aufruf:
Nie wieder Sprachverbot. Nie wieder Diskriminierung.
Die Botschaft von ICED 2025: Jetzt ist Schluss – Sign Language First
145 Jahre nach Mailand erklärte die WFD in Rom: Es reicht.
Taube Kinder dürfen nicht mehr gezwungen werden, zwischen Sprachen zu wählen. Sie sollen Zugang zu allen Sprachen ihres Landes erhalten – einschließlich der nationalen Gebärdensprache. Denn: Kinder gedeihen nur, wenn sie ihre Sprache frei und ohne Scham verwenden dürfen.
Oft heißt es, dass hörende Eltern Gebärdensprache nicht lernen könnten. Doch das Gegenteil ist der Fall – wenn sie entsprechende Unterstützung erhalten. Deshalb fordert die WFD:
- Kostenlosen Gebärdensprachunterricht für alle hörenden Familienmitglieder
- Gebärdensprache als festen Bestandteil der frühkindlichen Bildung
- Die Anerkennung nationaler Gebärdensprachen als Teil der kulturellen Vielfalt jedes Landes
- Das Ende der ausschließlichen Nutzung von Lautsprache in der Bildung
Eltern sollen ihren Kindern sagen können:
„Ich liebe dich“ – in der Sprache, die das Kind versteht.
Die Erklärung: Ein Bekenntnis zu Menschenrechten und Inklusion
Im Rahmen des Kongresses wurde eine Gemeinsame Erklärung vorbereitet, die am Freitagvormittag, bei der feierlichen Abschlussveranstaltung, offiziell vorgestellt und unterzeichnet werden soll.
Diese Erklärung enthält die Forderung:
- Die Beschlüsse des ICED-Kongresses von 1880 offiziell zu widerrufen und symbolisch zu beerdigen
- Die Gebärdensprache international als Menschenrecht anzuerkennen
- Die sprachliche Vielfalt, einschließlich Gebärdensprache, in allen Bildungssystemen zu fördern
- Ein weltweites Bekenntnis zur Inklusion und Gleichstellung Taube Menschen
Die Unterzeichnung dieser Erklärung ist offen für alle Teilnehmer*innen – ein kollektives Zeichen für eine bessere Zukunft.
Fazit: Jetzt gemeinsam unterzeichnen für eine gerechtere Welt
Der ICED 2025 ist ein Wendepunkt. Die internationale Gehörlosengemeinschaft hat gezeigt: Die Zeit des Schweigens ist vorbei. Die Gebärdensprache ist nicht nur ein Kommunikationsmittel – sie ist Identität, Kultur und ein unverzichtbares Menschenrecht.
Mit der Unterzeichnung der Gemeinsamen Erklärung setzen alle Beteiligten ein kraftvolles Zeichen. Für eine Zukunft, in der Taube Kinder frei und gleichberechtigt aufwachsen können. In der ihre Sprache anerkannt, geschützt und gefördert wird. In der sich auch hörende Eltern willkommen und unterstützt fühlen.
Tipps für Eltern, Fachkräfte und Unterstützer*innen
- Beginnen Sie früh mit der Gebärdensprache – je früher Kinder Zugang zu ihrer natürlichen Sprache erhalten, desto besser entwickeln sie sich.
- Suchen Sie Kontakt zu Gehörlosenvereinen, Selbsthilfegruppen oder Gebärdensprachzentren – sie bieten Kurse, Austausch und Beratung.
- Fordern Sie Gebärdensprachunterricht an Schulen, Kitas und in der Familienberatung – Barrierefreiheit beginnt im Bildungssystem.
- Setzen Sie sich für politische Anerkennung der nationalen Gebärdensprache ein – auf kommunaler, regionaler und nationaler Ebene.
- Nehmen Sie selbst an einem Gebärdensprachkurs teil – auch ein kleiner Anfang kann große Wirkung zeigen.
Die Zukunft der Gehörlosenbildung ist visuell, vielfältig und inklusiv. Jetzt ist die Zeit, zu handeln – und zu unterschreiben.

