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Sexueller Missbrauch an Gehörlosenschule in Bayern

by info@deaf24.com

Ein aktuelles Video einer tauben Vloggerin sorgt für große Betroffenheit in der Gehörlosengemeinschaft. In dem Beitrag schildert die Frau sehr offen ihre traumatischen Erfahrungen in einer Gehörlosenschule in Bayern. Neben dem häufig diskutierten Thema der sogenannten Sprachdeprivation – also dem Mangel an frühzeitiger Gebärdensprachförderung – spricht sie erstmals auch über sexuellen Missbrauch, den sie als minderjähriges Mädchen in der Schule erlebt hat.

Der Bericht ist nicht nur persönlich und mutig, sondern wirft erneut wichtige Fragen zur Aufarbeitung von Missbrauch in Einrichtungen für hörbehinderte Kinder auf. Besonders erschütternd: Die betroffene Frau hat damals niemandem von dem Vorfall erzählt – und bis heute gibt es keine Anzeige.

 

Allein mit dem Täter: Keine Zeugen, kein Schutz

In ihrem Video beschreibt die Vloggerin eine sehr verletzliche Situation. Während einer Pause sei sie mit einem Lehrer allein im Klassenzimmer gewesen. Die Tür sei geschlossen gewesen, niemand war anwesend. Genau in diesem Moment, sagt sie, sei es zu sexuellen Übergriffen gekommen.

Besonders erschreckend: Sie hatte keine Möglichkeit, Hilfe zu holen. In ihrer Kindheit war sie – wie viele andere taube Schüler – sprachlich isoliert. Sie konnte sich nicht in Lautsprache verständigen, viele Lehrer beherrschten keine Gebärdensprache. Diese sogenannte Sprachdeprivation führte dazu, dass sie als Kind kaum über Worte verfügte, um zu verstehen, was geschieht – oder um sich jemandem anzuvertrauen.

«Ich hatte keine Worte, keine Sprache. Ich habe einfach nur geschwiegen», sagt sie im Video.

 

Deaf24 erhebt Verdacht: Mehrere Betroffene?

Die Redaktion von Deaf24, die regelmäßig über Probleme in der Gehörlosengemeinschaft berichtet, hat auf den Beitrag der Vloggerin reagiert – und teilt mit, dass es Hinweise gibt, wonach mehrere taube Menschen in verschiedenen Gehörlosenschulen sexuell missbraucht worden sein könnten.

In persönlichen Gesprächen und anonymen Rückmeldungen an die Redaktion hätten sich weitere Betroffene gemeldet, die ähnliche Erlebnisse schildern. Oft sei es um Übergriffe in Klassenzimmern, Internaten oder während schulischer Veranstaltungen gegangen – in einem Umfeld, in dem Kontrolle und Aufsicht gefehlt haben sollen.

Deaf24 betont, dass es sich hierbei bislang um Verdachtsfälle handelt, aber sie fordert eine unabhängige Untersuchung und bessere Schutzkonzepte an Schulen für hörbehinderte Kinder. Der Verein ruft Betroffene dazu auf, sich zu melden – anonym oder persönlich – um die Dunkelziffer sichtbar zu machen und mögliche Aufarbeitung zu ermöglichen.

 

Warum sie keine Anzeige erstattet hat

Die Vloggerin erklärt, dass sie den Vorfall nie zur Anzeige gebracht hat – aus Angst, aus Scham und wegen fehlendem Vertrauen in Institutionen. Auch die fehlenden Zeugen spielen eine Rolle: Da sie allein im Raum war, fürchtete sie, ihr würde niemand glauben.

Ein weiteres Problem: Viele taube Menschen kennen ihre Rechte nicht genau. Es gibt große Informationslücken. Gerade für Betroffene von Gewalt ist es oft eine enorme Hürde, den Weg zu einer Anzeige zu gehen – besonders, wenn sie gehörlos sind und keinen leichten Zugang zu Beratung oder juristischer Unterstützung haben.

 

Ein strukturelles Problem in Internaten und Gehörlosenschulen?

Immer wieder berichten ehemalige Schüler*innen von Gehörlosenschulen über problematische Zustände: mangelnde Aufsicht, unzureichende barrierefreie Kommunikation, Isolation von Kindern, die Gebärdensprache nicht einsetzen dürfen oder nicht ausreichend gefördert wurden.

In Internaten, die eng mit den Schulen verbunden sind, waren viele Kinder über Jahre von ihren Familien getrennt. Gerade in dieser geschlossenen Umgebung ist Schutz besonders wichtig – doch dieser war offenbar nicht immer gegeben.

Sexueller Missbrauch kann in jeder Einrichtung vorkommen – aber die fehlende Sprache, die Isolation und der geringe Zugang zu Vertrauenspersonen machen taube Kinder noch verletzlicher.

 

Opferentschädigung auch ohne Anzeige?

Obwohl die Vloggerin keine Anzeige erstattet hat, könnte sie dennoch Anspruch auf Hilfe oder Entschädigung haben. Das Opferentschädigungsgesetz (OEG) sieht unter bestimmten Umständen auch Leistungen vor, wenn keine strafrechtliche Verurteilung vorliegt – etwa wenn der Missbrauch glaubhaft gemacht werden kann.

Hierbei spielen ärztliche Gutachten, Zeugenaussagen oder andere Indizien eine Rolle. Eine rechtliche Beratung durch eine barrierefreie und gebärdensprachkompetente Beratungsstelle kann helfen, die Chancen zu prüfen und zu begleiten.

Wichtig ist: Es geht nicht nur um Geld, sondern um Anerkennung, psychologische Hilfe, Rehabilitationsmaßnahmen und emotionale Unterstützung.

 

Tipps für Betroffene: Was kann man tun?

Für andere Betroffene, die sich in einer ähnlichen Situation befinden, gibt es verschiedene Anlaufstellen:

  • Beratungsstellen mit Gebärdensprache: In vielen Bundesländern gibt es spezialisierte Beratungsangebote für taube Gewaltopfer. Hier arbeiten auch gehörlose Berater*innen.
  • Online-Beratung: Plattformen wie www.hilfetelefon.de bieten auch Chat-Beratung an. Es gibt mittlerweile auch Video-Beratungen in DGS.
  • Vertrauenspersonen finden: Viele taube Menschen haben Angst, sich zu öffnen. Es hilft, mit einer Person zu sprechen, der man vertraut – auch wenn es schwerfällt.
  • Tagebuch oder Video führen: Manche beginnen, ihre Erlebnisse aufzuschreiben oder in Videoform festzuhalten – als erster Schritt zur Verarbeitung.
  • Information über Entschädigung einholen: Wer unsicher ist, ob ein Anspruch besteht, kann sich anonym beraten lassen – z. B. bei unabhängigen Opferschutzorganisationen.

 

Fazit: Schweigen durchbrechen – Schutz stärken

Der mutige Bericht der Vloggerin zeigt: Sexueller Missbrauch in Gehörlosenschulen ist ein Tabuthema, das lange Zeit unsichtbar war. Doch genau deshalb ist es so wichtig, darüber zu sprechen – und endlich Strukturen zu schaffen, die Schutz bieten.

Die Hinweise, die Deaf24 erhält, deuten darauf hin, dass dieser Fall kein Einzelfall ist. Viele Betroffene schweigen – aus Angst, Scham oder mangelndem Vertrauen. Doch Schweigen schützt die Täter.

Gehörlose Kinder und Jugendliche brauchen nicht nur barrierefreie Bildung, sondern auch barrierefreien Schutz. Sie müssen sich mitteilen können – in ihrer Sprache – und in einem sicheren Umfeld leben dürfen.

Die Gesellschaft, aber auch die Politik, muss sich stärker dafür einsetzen, dass solche Fälle aufgeklärt und verhindert werden – auch nach vielen Jahren. Denn die Wunden, die Missbrauch hinterlässt, heilen oft nie ganz. Aber wenn Betroffene gehört und ernst genommen werden, kann ein erster Schritt zur Heilung beginnen.

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

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