Für viele Taube Menschen ist der Alltag oft voller Hürden. Besonders dann, wenn sie auf wichtige Gespräche mit Ärztinnen, Lehrerinnen, Ämtern oder im Beruf angewiesen sind – aber kein Gebärdensprachdolmetscher (GSD) verfügbar ist. Die Wartezeiten sind lang, viele Termine müssen ohne Unterstützung stattfinden. Das erschwert die Teilhabe und bringt Unsicherheit.
Dabei gäbe es eine Lösung, die naheliegt: Kommunikationshilfen mit DGS-Kompetenz – also Personen, die fließend Deutsche Gebärdensprache (DGS) können, aber kein offizielles Dolmetscher-Diplom haben. Sie könnten in vielen Alltagssituationen helfen und eine echte Entlastung bringen. Dieser Beitrag erklärt, was solche Kommunikationshilfen leisten können, warum sie gebraucht werden und wie man erste Schritte gehen kann.
Was bedeutet DGS-Kompetenz?
DGS-Kompetenz heißt: Eine Person kann die Deutsche Gebärdensprache sicher, flüssig und natürlich anwenden. Sie versteht nicht nur die Sprache, sondern auch die Kultur, die Denkweise und die Lebensrealität tauber Menschen. Oft sind diese Personen selbst taub oder mit Taube Menschen aufgewachsen. Sie bewegen sich sicher in beiden Welten – der hörenden und der tauben.
Diese Menschen haben zwar kein offizielles Dolmetscher-Diplom, aber viel Erfahrung, Vertrauen und Verständnis. Sie können in vielen Situationen dolmetschen – manchmal sogar besser, weil sie direkter und natürlicher kommunizieren und kulturelle Missverständnisse vermeiden.
Wo liegt das Problem mit den Dolmetschern?
Viele Taube Menschen berichten von großen Problemen mit der aktuellen Dolmetscherversorgung:
- Lange Wartezeiten: Oft sind GSD wochenlang ausgebucht – gerade auf dem Land.
- Kurzfristige Absagen: Termine fallen aus, weil kein Ersatz kommt.
- Fremdheit und Distanz: Manche GSD sind zwar fachlich gut, aber die Kommunikation wirkt steif oder unnatürlich.
- Bürokratische Hürden: Die Vermittlung über zentrale Stellen dauert zu lang, ist kompliziert und unflexibel.
Dadurch bleiben viele wichtige Gespräche ungedolmetscht. Menschen müssen sich alleine durchkämpfen – oft mit schwerwiegenden Folgen.
Kommunikationshilfen mit DGS-Kompetenz: Eine Lösung?
Ja. Kommunikationshilfen mit DGS-Kompetenz könnten viele Probleme lösen. Sie sind oft:
- schneller verfügbar
- vertrauter für Taube Menschen
- flexibler einsetzbar
- leichter ansprechbar im Alltag
- kulturell näher dran
Sie könnten etwa bei Elterngesprächen in der Schule, beim Hausarzt, im Krankenhaus oder bei Gesprächen mit dem Arbeitgeber helfen – überall dort, wo der Zugang zu einem diplomierten GSD schwierig ist.
Viele Taube Menschen wünschen sich genau diese Möglichkeit: selbst wählen zu dürfen, wer sie in welcher Situation unterstützt.
Wahlrecht für Taube Menschen: Selbst entscheiden, wer dolmetscht
Ein wichtiger Punkt ist das Wahlrecht: Taube Menschen haben das Recht, selbst zu entscheiden, wer für sie dolmetscht – ob mit Diplom oder ohne. Dieses Selbstbestimmungsrecht ergibt sich aus der UN-Behindertenrechtskonvention und dem Prinzip der gleichberechtigten Teilhabe.
Wenn eine Taube Person eine Kommunikationshilfe mit DGS-Kompetenz ausdrücklich wünscht und gut begründet, kann eine Kostenübernahme beantragt werden – zum Beispiel bei der Krankenkasse, beim Integrationsamt oder bei anderen Kostenträgern. Wichtig ist: alles gut dokumentieren.
Erster Schritt: Ehrenamtliche Einsätze als Kommunikationshilfe
Ein sinnvoller Vorschlag aus der Praxis:
Zuerst ehrenamtlich beginnen.
Eine Person mit DGS-Kompetenz begleitet Taube Menschen zu Gesprächen – ohne Bezahlung, aber mit Einverständnis aller Beteiligten. So kann in der Praxis gezeigt werden:
„Es funktioniert – auch ohne offizielles Diplom!“
Wenn die Erfahrung positiv ist, kann man im nächsten Schritt versuchen, eine Bezahlung zu beantragen. Gerade bei mehrfachen erfolgreichen Einsätzen steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Kostenträger einer Finanzierung zustimmen.
Wichtig ist dabei:
- vorher das Einverständnis der Einrichtung einholen (z. B. Schule oder Arztpraxis)
- klar kommunizieren, dass es sich um eine öffentliche und private Kommunikationshilfe handelt
- auf Wunsch eine schriftliche Vereinbarung oder Rückmeldung dokumentieren
Fazit: Neue Wege für echte Teilhabe
Die aktuelle Situation mit Gebärdensprachdolmetschern reicht nicht aus – das zeigen viele Erfahrungen aus der Praxis. Kommunikationshilfen mit DGS-Kompetenz können hier eine echte Chance sein: Sie bieten schnelle Hilfe, natürliche Verständigung und mehr Vertrauen.
Taube Menschen haben das Recht, ihre Kommunikationshilfe selbst zu wählen. Dieses Wahlrecht sollte endlich respektiert und unterstützt werden – auch finanziell. Der Weg über ehrenamtliche Einsätze ist ein guter Anfang, um zu zeigen, wie wertvoll diese Hilfe ist. Wer DGS lebt und versteht, kann Brücken bauen – auch ohne Diplom.
Ein Vergleich aus dem Alltag zeigt, wie wichtig Wahlfreiheit ist:
Auch bei Autos dürfen Halter*innen frei entscheiden, ob sie zur Vertragswerkstatt oder zu einer freien Werkstatt gehen – z. B. für Inspektionen oder Wartung. Die Vertragswerkstatt darf nicht vorschreiben, dass der Service nur bei ihr gemacht werden darf. Diese Wahlfreiheit gilt auch für Menschen mit Behinderung: Sie dürfen selbst bestimmen, wer ihre Kommunikation begleitet, ob mit Diplom oder ohne – solange Qualität und Vertrauen stimmen.
Gleichberechtigung bedeutet auch: gleiche Entscheidungsfreiheit. Nur so wird echte Teilhabe im Alltag möglich – in der Werkstatt, beim Arzt und im Gespräch mit Behörden.

