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Bilingual · Chancen für Bildung und Beruf

by info@deaf24.com

Gehörlose Jugendliche stehen in Deutschland vor besonderen Herausforderungen. An Schulen wie der Humboldtschule in Berlin lernen sie überwiegend in Deutscher Gebärdensprache (DGS). Für viele Kinder ist dies die Sprache, in der sie sich am besten ausdrücken können. Manchmal kommen auch andere Gebärdensprachen hinzu, etwa arabische oder türkische. Der Unterricht dort unterscheidet sich stark vom klassischen „Oralismus“, bei dem die Lautsprache im Mittelpunkt steht.

Doch wie wirkt sich dieses Modell auf die Zukunft der Jugendlichen aus? Welche Chancen haben sie im Berufsleben? Und wie können Barrieren abgebaut werden, damit gehörlose Menschen gleiche Perspektiven haben wie Hörende?

 

Gebärdensprache im Unterricht: Chancen und Risiken

In Berlin gibt es Schulen, in denen der Unterricht fast ausschließlich in Gebärdensprache stattfindet. Lautsprache spielt dabei nur eine kleine Rolle. Das stärkt zwar die Identität der Schüler*innen, hat aber auch Folgen:

  • Vorteile: Kinder entwickeln ein starkes Selbstbewusstsein, ein gutes Gemeinschaftsgefühl und eine klare Identität als Gehörlose.
  • Risiken: Wer wenig Laut- und Schriftsprachförderung erhält, hat später oft Probleme mit Bewerbungen, offiziellen Schreiben oder im Kontakt mit hörenden Menschen.

Hier zeigt sich ein Spannungsfeld: Soll die Schule die Gebärdensprache in den Mittelpunkt stellen, oder braucht es eine stärkere Förderung von Deutsch als Schriftsprache?

 

Berufliche Perspektiven für Gehörlose

Viele gehörlose Erwachsene sind inzwischen in ganz unterschiedlichen Berufen erfolgreich. Häufig arbeiten sie als Gebärdensprachdozentinnen, Sozialpädagoginnen oder in der Beratung. Aber auch in den Bereichen IT, Design, Wissenschaft, Medien oder Kunst sind sie vertreten.

Wichtig ist dabei immer: Die beruflichen Chancen hängen nicht allein vom Können der Gehörlosen ab, sondern auch von den Rahmenbedingungen. Ohne Dolmetscher*innen, technische Hilfen oder barrierefreie Arbeitsplätze sind viele Berufe schwer zugänglich.

Der Staat hat erkannt, dass hier Unterstützung notwendig ist. In vielen Bundesländern gibt es Regelungen, dass Dolmetscherkosten im Beruf übernommen werden. Das eröffnet neue Möglichkeiten, reicht aber noch nicht aus.

 

Notwendige Unterstützung im Berufsleben

Damit gehörlose Menschen hochwertige Berufe ergreifen können, braucht es mehr als nur den Willen der Jugendlichen. Entscheidend sind:

  • Technische Hilfsmittel wie barrierefreie Computerprogramme oder Video-Relay-Services.
  • Zugang zu Gebärdensprachdolmetscher*innen, vor allem in Bewerbungsgesprächen, Meetings und Weiterbildungen.
  • Inklusive Strukturen in Betrieben, die von Anfang an gehörlose Mitarbeitende mitdenken.
  • Positive Vorbilder, die zeigen: Auch ohne Hörvermögen sind anspruchsvolle Karrieren möglich.

 

Fördermaßnahmen für Jugendliche

Besonders in Berlin gibt es vielfältige Angebote für gehörlose Jugendliche:

  • Gebärdensprachzentrierte Förderung: Vereine wie die Deutsche Gehörlosen-Jugend oder Selbsthilfegruppen unterstützen junge Menschen mit Sozialpädagogik und Freizeitangeboten.
  • Bewerbungstrainings und Berufsorientierungscamps: Mit Dolmetscherinnen und Peer-Mentorinnen lernen Jugendliche, ihre Stärken zu zeigen.
  • Workshops und Seminare: Sie helfen, eine klare berufliche Identität zu entwickeln.

Diese Angebote sind ein wichtiger Schritt, um die Chancen der Jugendlichen zu verbessern.

 

Geeignete Ausbildungswege

Für Nutzer*innen der DGS gibt es verschiedene Möglichkeiten:

  • Duale Ausbildungen im Handwerk, in der IT oder im Büro – mit Dolmetscher*innen und barrierefreien Strukturen.
  • Studium an Hochschulen, die barrierefreie Lehrangebote haben.
  • Spezialisierte Berufe, die direkt mit Gebärdensprache oder barrierefreier Kommunikation zu tun haben, etwa als Gebärdensprachdozentin, Sozialassistentin, Erzieherin oder Mediengestalterin.

In Berlin existieren zudem Ausbildungszentren, die gezielt auf die Bedürfnisse gehörloser Jugendlicher eingehen.

 

Bilinguales Lernen: DGS und Deutsch

Viele Expert*innen sind sich einig: Ein bilingualer Ansatz – also Unterricht in Gebärdensprache und in Deutsch – bietet die größten Vorteile.

  • Jugendliche behalten ihre Identität und können sich in der DGS sicher bewegen.
  • Gleichzeitig lernen sie, Deutsch zu lesen und zu schreiben.
  • Damit steigen ihre Chancen auf gute Ausbildungs- und Studienplätze.
  • Untersuchungen zeigen: Wer bilingual gefördert wird, ist selbstbewusster und erfolgreicher in Bewerbungen.

 

Unterstützungsdienste in Berlin

Berlin bietet eine Reihe von Hilfen, die den Übergang in den Beruf erleichtern:

  • Dolmetscher*innen für Berufsschule, Ausbildung und Weiterbildung.
  • Beratungsstellen und Integrationsdienste, die Jugendliche und Familien begleiten.
  • Förderprogramme von Land und Bund.
  • Peer-Mentoring, Sozialarbeiter*innen und digitale Apps, die in Gebärdensprache informieren.

 

Rolle der Arbeitgeber

Auch Betriebe müssen ihren Teil dazu beitragen. Praktische Inklusion bedeutet:

  • Bereitstellung von Arbeitsassistenz wie Dolmetscherinnen oder Schriftmittlerinnen.
  • Schulung der Teams im Umgang mit gehörlosen Kolleg*innen.
  • Flexible Bewerbungsverfahren, die barrierefrei gestaltet sind.
  • Nutzung moderner Technik, die Kommunikation erleichtert.

So können Gehörlose nicht nur in „Nischenberufen“ arbeiten, sondern auch in großen Unternehmen Karriere machen.

 

Kritische Fragen zur Zukunft

Trotz aller Fortschritte bleiben Fragen offen:

  • Ist der Weg mit fast ausschließlich gebärdensprachlichem Unterricht wirklich der richtige?
  • Fördert die Schule die Jugendlichen genug in Schrift- und Lautsprache?
  • Müssen Gehörlose immer auf teure Unterstützung durch Hörende angewiesen sein?
  • Sind Firmen bereit, Gehörlose einzustellen, oder bleiben viele ausgeschlossen?
  • Entsteht eine eigene Gehörlosenwelt, die von der hörenden Gesellschaft isoliert ist?

Diese Fragen zeigen: Es gibt keine einfache Lösung. Aber es ist wichtig, die Diskussion offen und ehrlich zu führen.

 

Fazit

Gehörlose Jugendliche haben heute mehr Chancen als früher – dank Gebärdensprache, besserer Förderangebote und mehr gesellschaftlicher Aufmerksamkeit. Doch Barrieren bestehen weiterhin.

Ein rein gebärdensprachlicher Unterricht ist nicht automatisch schlecht. Entscheidend ist, dass Lese- und Schreibfähigkeiten parallel gefördert werden. Nur so können die Jugendlichen später erfolgreich Bewerbungen schreiben, komplexe Texte verstehen und mit Hörenden kommunizieren.

Die Zukunft gehört einem bilingualen Ansatz, kombiniert mit starker beruflicher Förderung und der Bereitschaft der Arbeitgeber, Barrieren abzubauen. Nur wenn Schule, Politik und Betriebe zusammenarbeiten, können gehörlose Jugendliche ihr Potenzial voll entfalten – ohne isoliert zu sein und ohne ständig auf fremde Hilfe angewiesen zu bleiben.

Bild: freepik.com

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