Gewalt gegen Frauen ist kein Einzelfall und kein Randthema. In Deutschland erleben täglich viele Frauen körperliche, psychische oder sexualisierte Übergriffe. Viele schweigen – aus Angst, Scham oder Sorge, dass ihnen niemand glaubt. Doch Schweigen schützt Täter, nicht Opfer. Für gehörlose Frauen ist der Weg aus der Gewalt oft noch schwerer: fehlende Dolmetscherinnen, unklare Abläufe bei Polizei oder Ärztinnen, Missverständnisse durch Sprache, Unsicherheit bei der Beweissicherung.
Dieser Beitrag erklärt klar und verständlich, welche Formen von Gewalt es gibt, warum Reden hilft, wo barrierearme Unterstützung zu finden ist und welche Schritte Sicherheit schaffen können – ohne Angst zu machen und ohne Schuldzuweisung.
Gewalt hat viele Gesichter
Gewalt ist mehr als sichtbare Verletzungen. Sie kann unterschiedliche Formen haben:
- Körperliche Gewalt: Schläge, Stoßen, Würgen, Festhalten.
- Psychische Gewalt: Drohungen, Beleidigungen, Demütigungen, soziale Isolation.
- Sexuelle Gewalt: Nötigung, Vergewaltigung, erzwungene Handlungen.
- Digitale Gewalt: Überwachung per Handy, Stalking, Spionage-Apps, Erpressung mit intimen Bildern.
- Wirtschaftliche Gewalt: Kontrolle über Geld, Verschuldung im Namen der Betroffenen, Verweigerung von finanziellen Mitteln.
Täter nutzen Macht und Abhängigkeit. Nach außen wirken sie oft freundlich, manchmal sogar „vorbildlich“. Trotzdem bleibt Gewalt Gewalt. Jede Frau hat das Recht auf ein Leben ohne Angst.
Es ist wichtig zu betonen, dass Gewalt auch gegen Männer vorkommt, wenn auch seltener schwere körperliche und sexualisierte Übergriffe auftreten.
Warum viele Frauen schweigen
Betroffene erleben oft:
- Angst vor Rache: „Wenn ich rede, wird alles schlimmer.“
- Scham: „Was werden andere denken?“
- Abhängigkeit: wirtschaftlich oder emotional.
- Fehlende Unterstützung: kein Dolmetscher, lange Wartezeiten, Behörden ohne Gebärdensprachkenntnis.
- Mangel an Beweisen: Viele Frauen haben keine festen Beweise, sodass sie befürchten, nicht ernst genommen zu werden.
Für gehörlose Frauen verstärkt sich die Hürde, weil Gespräche mit Polizei, Ärzten oder Beratungsstellen ohne Dolmetscher unsicher wirken. Viele fühlen sich allein gelassen und wenden sich an Freunde oder Verwandte – die aber oft überfordert sind. Vertrauen ist wichtig, aber keine Garantie für fachgerechte Hilfe.
Barrieren für gehörlose Frauen
- Kommunikation: Viele Beratungsstellen und Behörden haben wenig Erfahrung mit Deutscher Gebärdensprache (DGS). Dolmetscher*innen fehlen manchmal kurzfristig.
- Video-Dolmetschen: Dienste wie Tess Relay können helfen, werden aber in Akutsituationen als unpersönlich erlebt. Viele wünschen sich eine Dolmetschperson vor Ort, die auch nonverbale Signale wahrnimmt.
- Organisation: Dolmetsch-Vermittlung klappt nicht immer zuverlässig, Ausfälle verunsichern.
- Beweise: Ärztliche Dokumentation ohne Dolmetschperson ist für manche schwer verständlich. Es hilft, klar um Wiederholung und einfache Sprache zu bitten.
Bei Gewaltfällen sind viele Frauen traumatisiert, stehen unter Schock oder haben akute Angst. Ein Video-Dolmetschdienst wie Tess Relay wirkt für manche Betroffene technisch, distanziert und „wie ein Roboter“. Persönliche Gebärdensprachdolmetscherinnen oder Kommunikationsassistentinnen geben mehr Sicherheit, können beruhigen, Körpersprache wahrnehmen und Vertrauen aufbauen.
Das Problem: Dolmetschende werden zwar offiziell vermittelt, erscheinen aber in manchen Fällen nicht – obwohl sie theoretisch verfügbar wären. Für Betroffene fühlt sich das an wie ein „Wegschauen“.
Polizei, Schulung und rechtliche Realität
- Werden Gewaltvorfälle ernst genommen? Die Polizei nimmt Anzeigen gegen Frauen grundsätzlich ernst. Dennoch berichten Betroffene, dass Fälle manchmal nicht vollständig verfolgt werden, besonders wenn es wenig Beweise gibt oder sie die Situation nicht klar darstellen können.
- Manipulation und Missverständnisse: Täter können Vorwürfe abstreiten oder die Darstellung der Opfer infrage stellen. Das bedeutet nicht, dass Frauen manipulieren.
- Keine speziellen Schulungen: Für den Umgang mit gehörlosen Menschen gibt es bisher kaum Trainings für Polizei oder Behördenmitarbeitende.
Eine Anzeige ist trotzdem wichtig, um Beweise zu sichern und weitere Taten zu verhindern. Das Gewaltschutzgesetz ermöglicht Kontakt- und Näherungsverbote. Auch wenn Täter oft bis zur Verhandlung auf freiem Fuß bleiben, bedeutet eine Anzeige, dass ein Verfahren beginnen kann.
Täterstruktur – neutral betrachtet
Gewalt gegen Frauen wird von Männern aller Altersgruppen, Nationalitäten und sozialen Hintergründen verübt. Meistens handelt es sich um Personen aus dem sozialen Umfeld, wie Partner, Bekannte oder Familienangehörige. Herkunft allein ist kein verlässlicher Risikofaktor.
Sicher handeln: Beweise sichern und Schritte planen
In akuter Gefahr: 110 (Polizei) oder 112 (Rettung). Wenn Sprechen nicht möglich ist, nora-Notruf-App (Text/visuell) mit Standortfreigabe nutzen.
Beweise sichern:
- Verletzungen ärztlich dokumentieren lassen (Datum, Uhrzeit, Befund)
- Fotos/Videos von Verletzungen und Schäden erstellen
- Drohungen, Chats, E-Mails per Screenshot sichern
- Kleidung mit Spuren ungewaschen in Papiertüte aufbewahren
- Nach anonymer Spurensicherung in der Region fragen
Sicherheitsplan:
- Notgepäck bereithalten (Ausweis, Medikamente, Geld, Ersatzschlüssel, Handy, Ladegerät)
- wichtige Kontakte und Adressen auf Papier notieren
- Codewort mit Vertrauensperson vereinbaren
- Fluchtwege und sichere Orte festlegen (Freundin, Nachbarin, Frauenhaus)
Jeder Schritt zählt – auch ein vertrauliches erstes Gespräch.
Verantwortung der Gesellschaft und Selbstschutz
Wegschauen heißt den Täter stärken. Wer Zeuge wird, sollte Hilfe organisieren, zuhören und dem Opfer glauben. Neutralität schützt nicht – sie lässt Gewalt bestehen.
Viele Menschen helfen nicht, weil sie selbst Angst haben, z. B.:
- vor körperlicher Gewalt wie Messerattacken oder Angriffen,
- davor, selbst zum Opfer zu werden,
- wegen Unsicherheit, wie sie sich richtig verhalten sollen.
Diese Angst ist nachvollziehbar und ein natürlicher Selbstschutzmechanismus. Dennoch gilt: Auch kleine Hilfen – wie zuhören, die Betroffene an Fachstellen weiterleiten oder Unterstützung durch Dritte organisieren – können entscheidend sein. Wegschauen ohne jede Hilfe hingegen stärkt die Täter und lässt die Opfer isoliert zurück.
Formulierungsvorschlag für Leser*innen:
„Manchmal schauen Menschen weg, weil sie selbst Angst haben, Opfer von Gewalt zu werden. Selbstschutz ist verständlich. Dennoch gibt es Wege zu helfen, ohne sich selbst zu gefährden: zuhören, Fachstellen vermitteln, professionelle Hilfe organisieren.“
Hilfe suchen – auch in kleinen Schritten
- Beweise sichern: Verletzungen beim Arzt dokumentieren lassen, Datum, Uhrzeit, Fotos sicher aufbewahren.
- Vertrauenspersonen ansprechen: Freunde, Familie oder Kolleginnen können begleiten, zuhören, ermutigen.
- Fachstellen nutzen: Frauenhäuser, Frauenberatungsstellen, Online-Beratung, Hilfetelefon.
- Notrufnummern kennen: 110 im Notfall, 116 016 für das Hilfetelefon.
- Sicherheitsplan erstellen: Wo kann ich im Notfall hin? Wer kann mich begleiten?
Besonderheiten für gehörlose Frauen
- Kommunikation: Frühzeitig nach Beratungsstellen mit Gebärdensprachdolmetscher*innen fragen.
- Frauenärzte & Kliniken: Termin mit Dolmetscher vereinbaren, wenn Verletzungen dokumentiert werden müssen.
- Netzwerke stärken: Austausch mit anderen gehörlosen Frauen kann Mut geben und Isolation reduzieren.
Tipps für Unterstützer
- Zuhören, glauben, Mut machen – nicht drängen.
- Professionelle Hilfe vermitteln.
- Sicherheit der Betroffenen respektieren.
Barrierefreie Anlaufstellen & Notrufnummern für Gehörlose
- Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ (DGS-Videochat)
- 116 016 | Videochat
 
- Frauenhäuser & Beratungsstellen (mit DGS)
- Tess Relay / Video-Dolmetschdienste
- nora Notruf-App (Text & visuell)
Fazit
Gewalt gegen Frauen zerstört Leben – Schweigen verlängert sie. Jede Frau hat das Recht, ohne Angst zu leben. Für gehörlose Frauen sind die Hürden höher: fehlende Dolmetscher, unzuverlässige Vermittlungen, zu wenig Engagement der Verbände, mangelnde Schulungen bei Polizei und Behörden. Video-Dolmetschen ersetzt in einer Schocksituation keinen Menschen an der Seite. Gesellschaftlich gilt: Wegsehen schützt Täter. Zuhören, Glauben und Handeln retten. Gemeinsam können wir sagen: Genug ist genug – keine Gewalt mehr.


