In Thailand stehen zehntausende Gehörlose ohne wichtige Unterstützung da: Der Thai Telecommunication Relay Service (TTRS), eine zentrale Anlaufstelle für Online-Gebärdensprachdolmetschen, wurde Mitte Juni 2025 vorübergehend eingestellt – wegen fehlender Finanzierung. Betroffen sind nicht nur alltägliche Situationen, sondern auch medizinische Behandlungen oder der Beruf. Viele Gehörlose geraten dadurch in existentielle Notlagen. Die Situation zeigt eindrucksvoll, wie schnell gesellschaftliche Teilhabe für eine ohnehin benachteiligte Gruppe wegbrechen kann – und warum Gebärdensprachdolmetschen nicht als Projekt, sondern als grundlegendes Menschenrecht gelten sollte.
Ein Leben mit Kommunikationsbarrieren
Athipat Boonleang, eine taube Transfrau, liefert normalerweise Pakete aus. Als sie kürzlich die Adresse eines Kunden nicht finden konnte, versuchte sie über den TTRS Hilfe zu bekommen – doch der Dienst war nicht erreichbar. Zufällig half ein Passant, aber wie Athipat sagt: „Ich habe nicht immer Glück.“
Auch Siriyada Prachayakanjana, eine taube Transfrau, wurde hart getroffen. Sie hatte einen Termin zur Hormonbehandlung, aber ohne Dolmetscher konnte sie medizinische Fachbegriffe nicht verstehen. „Ein Missverständnis kann mein Leben gefährden“, sagt sie.
Seit dem 13. Juni 2025 ist der TTRS stillgelegt. Die Leitung nennt als Grund: fehlende finanzielle Unterstützung durch die thailändische Regulierungsbehörde NBTC. Der Dienst wurde 2011 gegründet und ermöglichte es Gehörlosen, per Gebärdensprache zu kommunizieren – Dolmetscher*innen übersetzten in Echtzeit für hörende Gesprächspartner. Täglich gab es bis zu 1.600 Anfragen, insgesamt etwa 450.000 im Jahr.
Mehr als Technik: Ein Kampf um Anerkennung
Im Juli – während des Disability Pride Month – forderten rund 50 Gehörlose vor dem NBTC eine sofortige Wiederaufnahme des TTRS. Die Behindertenrechtlerin Chanakan Pittayapoovanai betont: „Das ist nur die Spitze des Eisbergs. Wir brauchen eine grundlegende Veränderung in der gesellschaftlichen Struktur, damit Gehörlose wirklich dazugehören.“
Sie leitet das Disability Service Centre (DSC), das Dolmetscher*innen vor Ort vermittelt. Auch der TTRS war bisher ein Teil ihrer Stiftung. Doch nun stößt das System an seine Grenzen – vor allem finanziell. Chanakan fordert deshalb: Der TTRS sollte als staatliche Institution fest verankert werden, nicht als befristetes Projekt.
Die Unsichtbarkeit beginnt schon in der Kindheit
Ein zentrales Problem: Viele gehörlose Kinder werden in hörende Familien geboren – oft ohne ausreichende Unterstützung. Die Eltern erkennen den Hörverlust spät. Bis dahin fehlt es an Kommunikation. Häufig wird dann auf Hörgeräte oder Cochlea-Implantate gesetzt, doch Chanakan warnt: „Diese Technik löst nicht alle Probleme. Viele Kinder hören nach der OP nicht wie Hörende – aber sie werden so behandelt.“
Stattdessen sei Gebärdensprache der direkteste Weg zur Verständigung. Doch weil viele hörende Eltern sie nicht lernen, landen ihre Kinder in speziellen Schulen. Diese bieten zwar Gebärdensprache an, doch später sind die Bildungsmöglichkeiten begrenzt – nur wenige Universitäten bieten barrierefreien Zugang.
Chronischer Mangel an Dolmetscher*innen
Ein weiteres zentrales Problem: Es gibt schlicht zu wenige qualifizierte Gebärdensprachdolmetscher*innen. Von ursprünglich etwa 500 sind nur noch rund 200 in Thailand tätig – viel zu wenig für rund 430.000 Gehörlose. Nur zwei Hochschulen im Land bieten eine Ausbildung an, und die Tätigkeit ist für viele keine sichere Existenzgrundlage.
„Wir sind Brücken zwischen Gehörlosen und Hörenden, aber unsere Arbeit ist instabil“, erklärt Chanakan. Die meisten arbeiten freiberuflich und ohne soziale Absicherung. Gleichzeitig mangelt es an Fachwissen in bestimmten Bereichen – etwa bei medizinischen oder juristischen Begriffen, für die es oft keine festen Gebärden gibt.
Neuer Wortschatz durch Zusammenarbeit
Ein positives Beispiel ist das Projekt der Deaf Thai Rainbow Group. In Zusammenarbeit mit der Rainbow Sky Association wurden neue Gebärden für LGBTIQ+-Begriffe entwickelt – etwa für „Transfrau“. Statt Buchstabieren wird ein anschauliches Zeichen verwendet, das Identität sichtbar macht. Solche Initiativen zeigen, wie wichtig Bildung in Thai und Zusammenarbeit in der Community sind, um neue Gebärden zu entwickeln.
Politik und Gesellschaft stehen in der Pflicht
Chanakan fordert mehr als nur technische Lösungen. Sie möchte, dass Gebärdensprache als offizielle Sprache anerkannt wird – nicht nur in Schulen und Unis, sondern auch in Behörden, Krankenhäusern und bei öffentlichen Dienstleistungen. Familien mit hörbehinderten Kindern sollten verpflichtend in Gebärdensprache geschult werden. Nur so könne echte Teilhabe gewährleistet werden.
„Ich traf einmal eine taube Ausländerin, die mir erzählen konnte, was ihr Lebenstraum ist“, erinnert sie sich. „In Thailand antworten Gehörlose auf diese Frage oft nur mit ‚ja‘ oder ‚nein‘ – weil sie nie gelernt haben, in solchen Konzepten zu denken. Das zeigt, wie viel wir noch aufholen müssen.“
Fazit: Ein Recht auf Verständigung – nicht auf Glück
Die aktuelle Krise um den TTRS ist ein dringendes Warnsignal: Kommunikation darf kein Luxus für Gehörlose sein, sondern muss als Grundrecht verstanden und garantiert werden – durch dauerhafte staatliche Unterstützung, mehr Bildungsangebote und gesellschaftliche Anerkennung der Gebärdensprache.
Nur wenn gehörlose Menschen von klein auf Zugang zu Sprache, Bildung und Information haben, können sie gleichberechtigt teilhaben. Die Zeit der provisorischen Lösungen muss vorbei sein. Denn Kommunikation darf keine Glückssache sein – sie muss selbstverständlich sein.
Bild: martzger.com

