Viele Gehörlose in Bayern erleben im Alltag weiterhin große Schwierigkeiten, einen Gebärdensprachdolmetscher (GSD) zu bekommen. Obwohl der Landesverband Bayern der Gehörlosen (LVBYGL) regelmäßig über Fortschritte und neue Kooperationen berichtet, bleibt die Realität für viele Betroffene schwierig. Ein Treffen zwischen dem LVBYGL und der Hochschule Landshut wurde kürzlich als „erfolgreich“ bezeichnet – doch wie viel ändert sich wirklich für die Gehörlosen im Alltag?
Die zentrale Frage lautet: Wann wird der „Erfolg“ endlich spürbar? Denn solange Gehörlose bei Arztbesuchen, Terminen in Behörden oder in der Schule keine verlässliche Dolmetsch-Unterstützung haben, bleibt die gesellschaftliche Teilhabe eingeschränkt.
Neue Kooperation: Hochschule Landshut und LVBYGL im Dialog
Der LVBYGL veröffentlichte einen Bericht über ein Treffen mit Vertreterinnen und Vertretern des Studiengangs Gebärdensprachdolmetschen an der Hochschule Landshut. Anwesend waren unter anderem der LVBYGL-Vorsitzende Marcus Willam, der politische Referent Daniel Büter, Professorin Dr. Sabine Fries sowie weitere Fachleute.
Die Gespräche waren nach Angaben beider Seiten produktiv. Themen waren unter anderem:
- die Erhöhung der Dolmetscherzahlen in Bayern,
- die Förderung von Nachwuchskräften,
- die wissenschaftliche Unterstützung der politischen Arbeit,
- sowie die Diskussion über technologische Entwicklungen, etwa KI-gestützte Dolmetscher-Avatare.
Diese Kooperation kann als wichtiger Schritt verstanden werden. Die Hochschule Landshut bildet neue Gebärdensprachdolmetscher aus und spielt damit eine Schlüsselrolle für die Zukunft. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Hochschule und Gehörlosenverband kann helfen, Fachkräfte gezielter auszubilden und politische Entscheidungen mit wissenschaftlichen Erkenntnissen zu untermauern.
Doch bei aller Bedeutung solcher Treffen bleibt die Frage: Wann kommen die Verbesserungen bei den Menschen an, die täglich auf Dolmetscher angewiesen sind?
Alltag der Gehörlosen: Warten, Absagen, Unsicherheit
Während über langfristige Strategien gesprochen wird, kämpfen viele Gehörlose in Bayern täglich mit ganz anderen Problemen. Dolmetscher sind oft nicht verfügbar, Termine werden abgesagt, und wer kurzfristig Hilfe braucht, steht häufig allein da.
In Behörden, Arztpraxen, Schulen und bei Gericht sind Gebärdensprachdolmetscher nach wie vor Mangelware. Selbst wenn Anträge rechtzeitig gestellt werden, kann es Wochen dauern, bis ein Termin zustande kommt. Viele Gehörlose berichten, dass sie für einfache Gespräche mit Ämtern oder Ärzten keine Unterstützung erhalten – obwohl sie laut Gesetz Anspruch darauf haben.
Ein weiteres Problem ist die ungleiche Verteilung der Dolmetscher. In großen Städten wie München, Nürnberg oder Augsburg ist das Angebot etwas besser. In ländlichen Regionen dagegen – etwa in Niederbayern oder Unterfranken – sind viele Gehörlose auf sich allein gestellt.
Diese Unterschiede führen zu Ungerechtigkeiten. Wer in der Stadt lebt, hat bessere Chancen auf Kommunikation. Wer auf dem Land wohnt, muss oft verzichten oder lange warten.
Ursachen: Warum fehlen Dolmetscher in Bayern?
Die Gründe für den Mangel sind vielfältig:
- Zu wenig Ausbildungsplätze:
Der Beruf des Gebärdensprachdolmetschers ist anspruchsvoll. In Bayern gibt es nur wenige Studiengänge, die jährlich eine begrenzte Zahl an Absolventen hervorbringen. - Hohe Belastung im Beruf:
Viele Dolmetscher arbeiten freiberuflich und müssen weite Strecken fahren. Ein Dolmetscher kann pro Tag oft nur wenige Einsätze schaffen, weil die Fahrzeiten viel Zeit kosten. - Mangelnde Organisation:
Es fehlt an zentraler Koordination. Viele Dolmetscher arbeiten unabhängig voneinander. Die Vermittlungsstellen wissen oft nicht, wer wann verfügbar ist. Das führt zu Leerzeiten und ineffizienter Planung. - Fehlende Anreize:
Der Beruf ist zwar wichtig, wird aber nicht immer angemessen bezahlt. Das schreckt Nachwuchs ab. - Fehlende Nachwuchsförderung:
Es gibt kaum Programme, um junge Menschen gezielt für den Beruf zu gewinnen oder Umschulungen zu fördern.
All diese Faktoren zusammen bewirken, dass die Zahl der Dolmetscher nicht ausreicht, um die Bedürfnisse der Gehörlosen in Bayern zu decken.
Vorschläge und mögliche Lösungen
Um die Dolmetschersituation nachhaltig zu verbessern, sind mehrere Maßnahmen nötig. Diese erfordern Zusammenarbeit von Politik, Verbänden, Hochschulen und Vermittlungsstellen.
Ausbildung ausbauen
Mehr Studienplätze an Hochschulen wie Landshut oder Würzburg könnten langfristig helfen, den Bedarf zu decken. Auch berufsbegleitende oder praxisorientierte Modelle könnten neue Zielgruppen ansprechen.
Faire Bezahlung und stabile Finanzierung
Dolmetscherleistungen müssen verlässlich finanziert werden – in Behörden, Schulen, Kliniken und im Alltag. Eine klare Kostenübernahme durch den Staat oder Krankenkassen würde Planungssicherheit schaffen.
Nachwuchs gewinnen
Informationskampagnen an Schulen oder Universitäten könnten junge Menschen für den Beruf begeistern. Praktika oder Stipendien wären ebenfalls hilfreich.
Organisation verbessern
Ein zentrales System, in dem Dolmetscher ihre Verfügbarkeit angeben, könnte Einsätze effizienter machen. So ließen sich lange Anfahrtszeiten vermeiden und mehr Termine abdecken.
Kommunikation erweitern – auch ohne Landshut
Neben der Ausbildung in Landshut ist es wichtig, die Kommunikationsassistenz unabhängig von Hochschulen stärker auszubauen. Viele Kommunikationshelferinnen und -helfer haben keine akademische Dolmetsch-Ausbildung, sind aber erfahren in der Gehörlosenkultur und können Alltagssituationen kompetent begleiten.
Diese Form der Unterstützung sollte in der Dolmetschvermittlung offiziell angeboten und bezahlt werden.
Nach dem Behindertengleichstellungsgesetz haben Gehörlose das Recht auf Wahlfreiheit: Sie dürfen selbst entscheiden, wer sie sprachlich unterstützt – ob ein diplomierter Gebärdensprachdolmetscher oder eine erfahrene Kommunikationsassistenz. Diese gesetzliche Freiheit muss in Bayern endlich konsequent umgesetzt werden.
Kommunikationsassistenz kann besonders dort helfen, wo kurzfristig niemand verfügbar ist oder wo einfache Gespräche ohne komplexe Fachübersetzung geführt werden. So könnten viele Kommunikationslücken geschlossen und Wartezeiten deutlich verkürzt werden.
Technologie nutzen – mit Vorsicht
KI-Avatare oder Video-Dolmetschdienste können unterstützen, wenn kein Dolmetscher verfügbar ist. Sie dürfen aber nie den Menschen ersetzen. Qualität, Datenschutz und Verständlichkeit müssen gewährleistet sein.
Bewusstsein fördern
Viele Behörden, Ärzte und Lehrer wissen nicht, wie wichtig Dolmetscher sind. Schulungen und Informationskampagnen könnten helfen, Barrieren abzubauen.
Tipps für Gehörlose: Aktiv werden und Rechte nutzen
Auch Betroffene selbst können etwas tun, um ihre Lage zu verbessern:
- Frühzeitig Dolmetscher anfragen: Je früher der Bedarf gemeldet wird, desto besser kann geplant werden.
- Recht auf Dolmetscher kennen: Laut Behindertengleichstellungsgesetz und Sozialgesetzbuch haben Gehörlose Anspruch auf Dolmetschleistungen.
- Verbände und Beratungsstellen einschalten: Der LVBYGL und andere Organisationen können unterstützen, wenn Anträge abgelehnt oder verzögert werden.
- Öffentlichkeit schaffen: Über soziale Medien, lokale Presse oder Veranstaltungen kann mehr Aufmerksamkeit auf das Thema gelenkt werden.
- Eigene Ausbildungsmöglichkeiten prüfen: Wer Interesse hat, selbst Dolmetscher oder Kommunikationshelfer zu werden, sollte sich über Studiengänge und Förderprogramme informieren.
Fazit: Gespräche sind wichtig, aber Handeln ist entscheidend
Das Treffen zwischen dem LVBYGL und der Hochschule Landshut ist ein positives Signal. Es zeigt, dass der Dialog zwischen Politik, Wissenschaft und Verbänden funktioniert. Doch echte Veränderungen entstehen erst, wenn daraus konkrete Maßnahmen folgen.
Für viele Gehörlose in Bayern bleibt die Realität ernüchternd: Zu wenig Dolmetscher, zu lange Wartezeiten, zu viele Absagen. Der Erfolg wird sich erst dann zeigen, wenn der Zugang zu Dolmetschern selbstverständlich wird – unabhängig davon, wo man wohnt oder wie kurzfristig der Bedarf entsteht.
Nur wenn Ausbildung, Finanzierung, Organisation und Bewusstsein gemeinsam verbessert werden, kann echte Barrierefreiheit erreicht werden. Gespräche sind der Anfang – aber Taten entscheiden über den Erfolg.

