In Deutschland und Europa wird derzeit viel über Gebärdensprach-Avatare gesprochen. Diese digitalen Figuren sollen automatisch Texte oder gesprochene Sprache in Gebärden übersetzen und auf Webseiten, in Apps oder an Informations-Terminals für Barrierefreiheit sorgen. Die Idee klingt modern und praktisch, doch viele Gehörlose reagieren kritisch. Schon seit über 30 Jahren haben Hörende Erfahrung mit maschinellen Telefonanlagen, bei denen man zuerst mit einer Computerstimme spricht. Viele Hörende empfinden diese Systeme als unpersönlich, fehleranfällig und nervig. Wenn selbst Hörende Maschinen ablehnen, stellt sich die Frage, warum Gehörlose auf sprechende Puppen angewiesen werden sollen.
Maschinelle Telefone bei Hörenden
Maschinelle Telefone gibt es seit Jahrzehnten, besonders bei Banken, Versicherungen oder Behörden. Dort hört man Sätze wie: „Drücken Sie die 1 für Konto, drücken Sie die 2 für Beratung …“. Diese Systeme sollen Arbeit sparen, doch sie erzeugen bei vielen Menschen Frust. Sie verstehen Dialekte oder ungewöhnliche Formulierungen nicht und bieten keine Möglichkeit, Missverständnisse zu klären. Fast alle Hörenden bevorzugen deshalb den direkten Kontakt mit Menschen. Trotz starker technischer Entwicklung setzen sie keine Avatare am Telefon ein, sondern bleiben bei menschlicher Kommunikation. Das zeigt, dass Technik allein nicht ausreicht, um persönliche Gespräche zu ersetzen.
Gebärdensprach-Avatare: Chancen und Risiken
Gebärdensprach-Avatare sollen Texte automatisch übersetzen und Gebärden visualisieren. Ein Avatar ist eine digitale Figur, die mit Händen, Gestik und teilweise Mimik Gebärden zeigt. Die Idee erscheint modern, doch die Praxis zeigt viele Probleme. Gebärdensprache ist eine lebendige, visuelle Sprache mit eigener Grammatik, Gesichtsausdruck und räumlicher Struktur. Ein Computer kann diese Feinheiten bisher nicht vollständig nachbilden. Deshalb sagen viele Gehörlose: „Wir wollen keine sprechenden Puppen!“
Früher wirkten Avatare steif und unnatürlich, doch die Technik hat sich deutlich verbessert. Bewegungen sind flüssiger, Hände sehen natürlicher aus, und manche Systeme zeigen einfache Mimik. Der Fortschritt ist sichtbar, doch das eigentliche Problem liegt in der Übersetzung der Inhalte. Avatare erkennen Wörter, verstehen jedoch nicht den Sinn eines Satzes. Bei einfachen Sätzen wie „Das Rathaus ist geöffnet“ funktioniert es noch, aber bei technischen, medizinischen oder rechtlichen Texten entstehen schnell Missverständnisse. Ein kleiner Fehler kann die Bedeutung eines Satzes komplett verändern. Viele Gehörlose sagen daher: „Die Avatare sehen besser aus, aber sie wissen nicht, was sie sagen.“
Maschinenübersetzungen werden auch bei Hörenden nicht anerkannt
Programme wie DeepL, Promt oder Google Translate nutzen ebenfalls künstliche Intelligenz, um Texte automatisch zu übersetzen. Diese Übersetzungen enthalten jedoch sehr viele Fehler und erfassen oft weder den Sinn noch den Kontext korrekt. Vor Gericht oder bei offiziellen Dokumenten dürfen daher nur vereidigte Übersetzer arbeiten, deren Übersetzungen geprüft und anerkannt sind. Wenn selbst bei Hörenden maschinelle Übersetzungen nicht anerkannt werden, erscheint es fragwürdig, warum ausgerechnet Gehörlose auf Avatare angewiesen werden sollen. Ein möglicher Grund ist, dass die Kommunikation mit Gehörlosen für viele Hörende anstrengend und zeitaufwendig ist. Avatare wirken auf den ersten Blick bequemer: ein Klick, kein Dolmetscher, keine Wartezeit. Doch dies führt zu einer technischen Ausgrenzung, statt echte Inklusion zu schaffen.
Warum Gehörlose oft Avatare bekommen
Ein weiterer Grund, warum Gebärdensprach-Avatare eingeführt werden, liegt darin, dass Kommunikation mit Gehörlosen für viele Hörende als mühsam und zeitaufwendig empfunden wird. Hörende müssen langsamer sprechen, Blickkontakt halten, ggf. Dolmetscher organisieren und ihre eigene Sprache anpassen. Das kostet Zeit und Geduld. Für manche Behörden oder Firmen wirkt ein Avatar daher wie eine bequeme Lösung: kein Dolmetscher, keine Wartezeit, kein Mehraufwand. Statt echte Inklusion zu fördern, werden Gehörlose so oft einfach an digitale Figuren „weitergeleitet“. Viele Gehörlose empfinden dies als technische Ausgrenzung – die menschliche Kommunikation wird dadurch ersetzt, nicht ergänzt.
Kritik aus der Gehörlosengemeinschaft
Die Kritik ist klar: Avatare können komplexe Inhalte nicht zuverlässig übersetzen, besonders bei sensiblen Themen. Es droht, dass Behörden und Firmen weniger Dolmetscher bezahlen, wenn sie glauben, ein Avatar sei ausreichend. Gebärdensprache lebt von Ausdruck, Geschwindigkeit und Persönlichkeit, während ein Avatar künstlich und distanziert bleibt. Zudem werden viele Systeme ohne gehörlose Fachleute entwickelt, was zu unnatürlicher Darstellung führt. Nur Menschen können Emotion, Kontext und Bedeutung korrekt übertragen.
Rechtliche Lage
Das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) verlangt Barrierefreiheit, schreibt aber nicht vor, dass digitale Avatare Dolmetscher ersetzen dürfen. Behörden dürfen Avatare als Ergänzung anbieten, Gehörlose haben jedoch weiterhin Anspruch auf Dolmetscher*innen oder andere Kommunikationshilfen.
Forschung und Erkenntnisse
Studien der Universität Hamburg, RWTH Aachen und des EU-Projekts SignON zeigen: Die Verständlichkeit von Avataren ist deutlich geringer als bei echten Menschen. Emotionen, Mimik und Tempo wirken oft unnatürlich, und die Akzeptanz ist niedrig. Besonders bei wichtigen Themen wie Recht, Medizin oder Behörden bleibt die Nachfrage nach echten Dolmetschern hoch.
Was Gehörlose wirklich wollen
Die Mehrheit der Gehörlosen möchte keine Roboter, sondern echte Menschen, die Gebärdensprache beherrschen. Sie wollen zuverlässige Dolmetscherinnen, hörende Mitarbeiterinnen, die selbst gebärden, und direkte Kommunikation ohne technische Barrieren. Avatare können höchstens einfache Informationen liefern, sie dürfen aber nicht menschliche Kommunikation ersetzen.
Tipps für Gehörlose
- Bestehen Sie auf Dolmetscher*innen, auch wenn Avatare angeboten werden.
- Melden Sie fehlerhafte Avatare, damit Entwickler lernen.
- Prüfen Sie die Inhalte kritisch – insbesondere bei wichtigen Informationen.
- Unterstützen Sie Projekte, bei denen gehörlose Fachleute beteiligt sind.
Fazit
Gebärdensprach-Avatare sind interessant, aber noch nicht ausgereift. Sie liefern einfache Informationen, ersetzen jedoch keine Gespräche, Emotionen oder Verantwortung. Wenn selbst maschinelle Übersetzungen bei Hörenden nicht anerkannt werden, sollten Gehörlose nicht auf digitale Puppen verwiesen werden. Gebärdensprache ist lebendig, menschlich und kulturell wertvoll – sie gehört den Menschen, nicht den Maschinen.

