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Taub oder schwerhörig? Verstehen, was der Unterschied ist

by info@deaf24.com

Viele Menschen – auch in der Gehörlosengemeinschaft – fragen sich:
Wenn jemand taub ist, aber ein Hörgerät oder ein Cochlea-Implantat (CI) trägt, ist er dann schwerhörig? Oder bleibt er taub, auch wenn er damit etwas hört?

Diese Frage sorgt oft für Verwirrung, weil viele glauben, dass ein Hörgerät oder ein CI „das Hören zurückbringt“. Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit. Der Unterschied zwischen taub und schwerhörig ist nicht nur technisch, sondern auch kulturell, sprachlich und individuell.

In diesem Artikel erklärt Deaf24 einfach und verständlich, was diese Begriffe bedeuten, welche Missverständnisse es gibt, und warum das Selbstverständnis der Betroffenen dabei eine wichtige Rolle spielt.

 

Was bedeutet „taub“ oder „gehörlos“?

„Taub“ oder „gehörlos“ bedeutet, dass jemand nichts oder fast nichts hört – selbst mit einem Hörgerät oder CI.
Das Gehör ist so stark geschädigt, dass keine oder nur sehr wenige akustische Informationen verarbeitet werden können.

Einige gehörlose Menschen können vielleicht laute Geräusche spüren – etwa Vibrationen oder tiefe Töne –, aber sie verstehen keine Sprache über das Hören.

Für viele Gehörlose ist das aber kein Problem: Sie benutzen Gebärdensprache als ihre Hauptsprache und leben vollständig in der Gehörlosenkultur. Sie sehen sich nicht als krank, sondern als Teil einer eigenen sprachlichen Minderheit mit einer eigenen Kultur, Geschichte und Identität.

 

Was bedeutet „schwerhörig“?

„Schwerhörig“ bedeutet, dass jemand noch etwas hört, aber nicht genug, um ohne Hilfsmittel gut zu verstehen.
Schwerhörige Menschen können mit einem Hörgerät oder CI oft Sprache wahrnehmen, aber sie müssen sich stark konzentrieren und verstehen nicht immer jedes Wort.

Es gibt unterschiedliche Stufen der Schwerhörigkeit:

  • Leichte Schwerhörigkeit: Man versteht Sprache, aber leise Töne sind schwer hörbar.
  • Mittlere Schwerhörigkeit: Gespräche in lauter Umgebung sind schwierig.
  • Starke Schwerhörigkeit: Nur mit Hörgerät oder CI ist Sprachverstehen teilweise möglich.

Viele schwerhörige Menschen bewegen sich zwischen den Welten: Sie sprechen lautsprachlich, benutzen manchmal Gebärdensprache und sind sowohl in der hörenden als auch in der gehörlosen Welt aktiv.

 

Hörgeräte und Cochlea-Implantate: Nur Hilfsmittel

Hier liegt der Kern des Missverständnisses:
Ein Hörgerät oder Cochlea-Implantat (CI) ist kein Ersatz für das natürliche Hören. Es ist ein technisches Hilfsmittel, das Geräusche verstärkt oder elektronisch überträgt.

  • Ein Hörgerät verstärkt den Schall, damit das Ohr ihn besser wahrnehmen kann.
  • Ein Cochlea-Implantat (CI) wandelt Schall in elektrische Signale um, die direkt an den Hörnerv weitergeleitet werden.

Aber:
Nicht jeder Mensch kann diese Signale gleich gut verarbeiten.
Das Gehirn muss erst lernen, die neuen Töne zu „verstehen“. Manche Menschen hören mit CI nur Geräusche oder piepsende Klänge – sie müssen mühsam üben, um daraus Sprache zu erkennen.

Viele Gehörlose tragen ein CI oder Hörgerät, bleiben aber trotzdem gehörlos, weil sie Sprache über das Hören nicht sinnvoll verstehen können.
Deshalb sagen viele Gehörlose:

„Ich habe ein CI, aber ich bin und bleibe taub.“

Das Gerät verändert also nicht die Identität oder Kultur, sondern ist nur ein Werkzeug – so wie eine Brille das Sehen verbessert, aber keine neue Person daraus macht.

 

Gut sprechen bedeutet nicht automatisch „schwerhörig“

Ein weiterer wichtiger Punkt, den viele übersehen:
Nur weil jemand gut sprechen kann, bedeutet das nicht automatisch, dass er schwerhörig ist.

Es gibt viele gehörlose Menschen, die durch jahrelanges Training, Logopädie oder Nachahmung gelernt haben, gut zu sprechen – ohne hören zu können.
Sie verstehen Sprache oft über Lippenlesen, Kontext oder Gebärdensprache, nicht über das Ohr.

Umgekehrt gibt es schwerhörige Menschen, die nicht gut sprechen, weil sie Sprache nie vollständig hören konnten.

Das Sprechen zeigt also nicht, wie viel jemand hört, sondern wie viel Erfahrung mit Lautsprache er hat.
Ein gehörloser Mensch kann also sehr deutlich sprechen und trotzdem kein Wort hören.

Diese Unterscheidung ist wichtig, weil viele Hörende irrtümlich denken:
„Wer sprechen kann, ist nicht taub.“
Doch das ist falsch – das Sprechen sagt nichts über das tatsächliche Hörvermögen aus.

 

Hörstatus und Selbstbestimmung

Ob jemand sich als taub oder schwerhörig bezeichnet, ist eine persönliche Entscheidung.
Zwei Menschen können das gleiche Hörvermögen haben, sich aber unterschiedlich identifizieren:

  • Die eine Person sagt: „Ich bin gehörlos“, weil sie Gebärdensprache nutzt und sich der Gehörlosenkultur zugehörig fühlt.
  • Die andere Person sagt: „Ich bin schwerhörig“, weil sie sich mehr in der hörenden Welt bewegt.

Es gibt kein „richtig“ oder „falsch“. Entscheidend ist, wie der Mensch selbst seine Identität versteht.

Diese Selbstbestimmung ist wichtig. Denn viele hörende Menschen oder Institutionen neigen dazu, von außen zu entscheiden, ob jemand taub oder schwerhörig sei – oft nur, weil er ein CI trägt. Das führt zu Missverständnissen und manchmal auch zu Diskriminierung.

Deaf24 betont:

Der medizinische Hörstatus allein bestimmt nicht, wer man ist.
Entscheidend ist, wie man lebt, kommuniziert und welche Gemeinschaft man wählt.

 

Warum diese Unterscheidung wichtig ist

Die Begriffe „taub“ und „schwerhörig“ sind nicht nur medizinische Kategorien, sondern auch gesellschaftliche Identitäten.
Sie beeinflussen,

  • welche Sprache jemand nutzt (Gebärdensprache oder Lautsprache),
  • welche Kultur er lebt,
  • und welche Barrieren er im Alltag erlebt.

Wenn hörende Menschen denken, ein CI „heile“ die Gehörlosigkeit, entsteht der Eindruck, Gehörlosigkeit sei etwas, das „behoben“ werden müsse.
Doch für viele Gehörlose ist das nicht das Ziel. Sie wünschen sich Barrierefreiheit, Dolmetscher, Akzeptanz und Respekt, nicht „Heilung“.

Ein respektvoller Umgang bedeutet, die eigene Entscheidung des Betroffenen anzuerkennen – ob er sich als taub, schwerhörig oder beides bezeichnet.

 

Tipps für den Umgang mit dem Thema

  1. Respektiere, wie jemand sich selbst bezeichnet.
    Wenn eine Person sagt, sie ist taub, dann ist sie taub – auch mit CI oder Hörgerät.
  2. Frage nach, welche Kommunikation bevorzugt wird.
    Gebärdensprache, Schrift, Lautsprache, Lippenlesen oder technische Hilfen – jede Person hat andere Bedürfnisse.
  3. Vermeide medizinische Urteile.
    Ein CI oder Hörgerät bedeutet nicht automatisch, dass jemand „besser hört“ oder „nicht mehr taub“ ist.
  4. Unterstütze die Gebärdensprachgemeinschaft.
    Sie ist ein wichtiger Teil der kulturellen Vielfalt – genauso wie andere Sprachgemeinschaften.
  5. Informiere dich kritisch über Technikversprechen.
    Werbung für CI oder Hörgeräte stellt oft übertriebene Erwartungen dar. In Wirklichkeit sind die Ergebnisse sehr unterschiedlich.

 

Fazit

Taub oder schwerhörig – das ist mehr als nur eine medizinische Beschreibung.
Ein Hörgerät oder Cochlea-Implantat kann zwar helfen, Klänge oder Stimmen wahrzunehmen, aber es macht niemanden automatisch hörend.

Viele Gehörlose bleiben trotz technischer Hilfsmittel taub, weil sie nicht hören oder verstehen können wie Hörende. Andere wiederum hören mit Hilfsmitteln ausreichend, um sich als schwerhörig zu empfinden.

Entscheidend ist, was der Mensch selbst empfindet, wie er kommuniziert und welche Gemeinschaft er wählt.
Das Hören ist nur ein Teil des Lebens – das Verstehen, die Sprache und die Kultur machen den Menschen vollständig aus.

Deshalb gilt:

„Hörgerät oder CI können unterstützen – aber die Identität als tauber oder schwerhöriger Mensch bleibt eine persönliche Entscheidung.“

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