Die digitale Barrierefreiheit für gehörlose Menschen macht einen großen Schritt nach vorn – oder vielleicht auch einen schwierigen Schritt in eine neue Richtung.
Das Kölner Start-up Alangu präsentiert am 20. Oktober 2025 in der beliebten TV-Sendung „Die Höhle der Löwen“ (VOX) seinen innovativen Gebärdensprach-Avatar.
Die Gründer geben damit der gebärdensprachlichen Community eine neue Sichtbarkeit – doch ihr Projekt sorgt auch für Diskussionen und Widersprüche innerhalb der Gehörlosenwelt.
Barrierefreiheit trifft auf Innovation
Das Internet und digitale Dienste bestimmen unseren Alltag.
Doch viele Informationen sind nur in gesprochener Sprache oder Text verfügbar – ein großes Hindernis für gehörlose Menschen, deren Muttersprache Deutsche Gebärdensprache (DGS) ist.
Hier setzt Alangu an:
Das Unternehmen will mit einem digitalen Avatar Texte automatisch in Gebärdensprache übersetzen. Behörden, Kommunen und Firmen könnten damit ihre Webseiten barrierefrei gestalten – ohne menschliche Dolmetschende.
Am 20. Oktober 2025 präsentierten die Gründer Alexander Stricker und Christina Schäfer in der TV-Show „Die Höhle der Löwen“ ihr Konzept. Sie baten um 900.000 Euro für 10 Prozent Firmenanteile – ein hoher Preis, der sofort Diskussionen unter den Investoren auslöste.
Was ist der Gebärdensprach-Avatar von Alangu?
Der Gebärdensprach-Avatar ist eine digitale Figur, die mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) automatisch Texte in Gebärdensprache übersetzt.
Die Animation zeigt Hände, Mimik und Körperbewegung, die der echten DGS möglichst ähnlich sind. Dafür nutzt Alangu Motion-Capture-Technik aus der Filmindustrie und Machine Learning, um die natürliche Gebärdenbewegung zu simulieren.
Das System deckt über 140 Themenbereiche ab – vor allem Verwaltungs- und Serviceangebote.
Ein Beispiel: Auf einer Stadt-Webseite kann man den Avatar anklicken, um in Gebärdensprache erklärt zu bekommen, wie man einen Personalausweis beantragt.
Für viele Behörden klingt das praktisch – Informationen in Gebärdensprache ohne Dolmetscherkosten.
Doch in der Gehörlosengemeinschaft gibt es Zweifel, Sorgen und Kritik.
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Die Gründer und ihre Vision
Alexander Stricker (Geschäftsführer) und Christina Schäfer (gehörlose DGS-Expertin) bilden das Herz von Alangu.
Ihr Ziel: Eine barrierefreie digitale Welt, in der Gebärdensprache selbstverständlich ist.
Christina Schäfer betont:
„Wir arbeiten mit der Community für die Community.“
Alexander Stricker sagt:
„Weltweit gibt es rund 70 Millionen gehörlose Menschen, aber viele digitale Informationen sind nicht in Gebärdensprache verfügbar.“
Ihre Vision ist mutig und gesellschaftlich wertvoll. Trotzdem stoßen sie auf Skepsis – sowohl bei Investoren als auch bei vielen Gehörlosen.
Auftritt in der „Höhle der Löwen“ – und die Reaktionen
In der TV-Show erklärten Stricker und Schäfer ihre Technologie und baten um eine große Investition. Doch die Bewertung von 9 Millionen Euro wirkte auf die Löwen sehr hoch.
Ein Investor sagte offen:
„Das ist ein sehr, sehr teures Angebot.“
Diese Reaktion zeigt: Sozial orientierte Start-ups haben es schwer, Investoren zu überzeugen. Die Idee ist gut, der Nutzen gesellschaftlich wichtig – aber Kapitalgeber achten vor allem auf wirtschaftliche Rendite.
Ob es zu einem Deal kam, bleibt bis zur Ausstrahlung offen. Doch aus Hintergrundinformationen ist bekannt: Ein Vertrag kam wohl nicht zustande. Die Bewertung war zu hoch, und der Markt noch zu klein.
Kritische Stimmen und Widersprüche
Viele Gehörlose sehen Alangu nicht nur positiv.
Der Gebärdensprach-Avatar kann zwar helfen, Informationen zugänglich zu machen, doch er ersetzt keine echten Gebärdensprachdolmetschenden.
„Ein Avatar versteht keine Emotionen, keine persönlichen Fragen, keine Zwischentöne,“
sagen viele Betroffene.
Gerade bei wichtigen Themen wie Arztgesprächen, Rechtsberatungen oder Familienangelegenheiten ist Vertrauen entscheidend.
Hier wünschen sich Gehörlose lieber menschliche Dolmetschende – oder die Nutzung von Tess Relay, dem bekannten Telefondolmetschdienst.
Mit einem Avatar fühlen sich viele unsicher:
- Sie haben keine Kontrolle, ob die Übersetzung wirklich korrekt ist.
- Sie wissen nicht, was im Hintergrund gespeichert oder ausgewertet wird.
- Und sie fragen sich, ob die Firma ihre Kultur und Gebärdensprache wirklich versteht.
Ein Mitglied der Community formulierte es so:
„Wir wollen keine Maschine, die unsere Sprache kopiert. Wir wollen Menschen, die uns verstehen.“
Fehlende Inklusion: Wenn Avatare Menschen ersetzen
Viele Gehörlose finden, dass digitale Avatare keine echte Inklusion schaffen.
Echte Inklusion entsteht nur, wenn Hörende und Gehörlose direkt miteinander kommunizieren – nicht über Technik.
Darum sagen viele:
„Die beste Lösung wäre, wenn Mitarbeitende in Behörden, Ämtern oder bei der Polizei selbst Gebärdensprache lernen.“
Wenn Hörende Gebärdensprache können, entsteht Begegnung, Verständnis und Nähe.
Wenn sie stattdessen sagen: „Wir haben ja den Avatar, das reicht,“ werden Gehörlose weiter isoliert.
Deshalb fordern viele:
- Mehr Gebärdensprachkurse für Behördenpersonal,
- Pflichtschulungen in DGS für öffentliche Dienste,
- direkte Kommunikation statt Technik-Umwege.
Nur so kann Inklusion wirklich gelebt werden – menschlich, nicht maschinell.
Chancen und Risiken der Avatar-Technologie
Natürlich bietet der Gebärdensprach-Avatar auch Vorteile:
- Informationen können schneller und rund um die Uhr verfügbar sein,
- einfache Themen (z. B. Öffnungszeiten, Formulare) werden barrierefrei,
- und Kommunen können gesetzliche Anforderungen wie das Onlinezugangsgesetz (OZG) leichter erfüllen.
Aber:
- Der Avatar kann keine individuellen Gespräche führen,
- er kann nicht auf Rückfragen reagieren,
- und viele Gehörlose empfinden ihn als künstlich und distanziert.
Für komplexe Situationen ist der Avatar daher keine Lösung, sondern eher eine Ergänzung.
Zukunftsperspektiven und Ausblick
Alangu möchte die KI-Technik weiterentwickeln.
Geplant sind flüssigere Gebärden, bessere Mimik und eine größere Themenvielfalt.
Auch Unternehmen sollen künftig den Avatar einsetzen können.
Das Ziel: Eine Welt, in der Informationen überall barrierefrei sind.
Aber die Community mahnt: Nur mit Beteiligung gehörloser Menschen kann das gelingen.
Die Technik darf nicht über ihre Köpfe hinweg entschieden werden.
Sie muss gemeinsam mit der Community wachsen – nicht gegen sie.
Fazit: Ein Fortschritt mit offenen Fragen
Der Auftritt von Alangu in „Die Höhle der Löwen“ ist ein wichtiger Moment für digitale Barrierefreiheit.
Das Projekt zeigt Mut, Innovation und Engagement.
Doch es wirft auch viele kritische Fragen auf:
Wie viel Technik braucht Inklusion – und wo beginnt Entfremdung?
Der Gebärdensprach-Avatar kann nützlich sein, um Informationen leichter zugänglich zu machen.
Aber er darf nicht den menschlichen Kontakt ersetzen.
Denn nur Begegnung schafft Verständnis.
Für viele Gehörlose bleibt klar:
„Wir wollen Kommunikation – nicht nur Animation.“
Tipps für die Deaf-Community
- Informieren: Neue digitale Angebote kritisch prüfen.
- Vernetzen: Rückmeldungen an Entwickler geben – nur so verbessert sich die Technik.
- Forderungen stellen: Behörden und Unternehmen an Barrierefreiheit erinnern.
- Weiterbilden: Webinare oder Kurse zur digitalen Teilhabe besuchen.
- Gebärdensprache fördern: Sich für mehr DGS-Unterricht in öffentlichen Einrichtungen einsetzen.
So kann die Community mitbestimmen, dass neue Technik wirklich hilft – und nicht trennt.
Dieser Artikel bietet eine klare, ausgewogene Darstellung über Alangu, erklärt Chancen und Risiken von Gebärdensprach-Avataren und gibt Gehörlosen eine starke Stimme.
Bild: DGN Publicidade / Uni Clube

