Home Non udentiGebärdenspracheBarrierefreiheit für Gehörlose – Der tägliche Kampf geht weiter

Barrierefreiheit für Gehörlose – Der tägliche Kampf geht weiter

by info@deaf24.com

Frankreich hat im Jahr 2005 ein wichtiges Gesetz verabschiedet – das Gesetz zur Gleichstellung von Rechten und Chancen für Menschen mit Behinderungen. Es sollte sicherstellen, dass auch gehörlose Menschen die gleichen Chancen auf Bildung, Teilhabe und Barrierefreiheit erhalten wie alle anderen.

Doch viele Jahre später zeigt sich: In der Realität gibt es noch immer große Probleme – vor allem in Schulen. Viele gehörlose Kinder erhalten nicht die nötige Unterstützung, die sie brauchen. Die Familien müssen selbst kämpfen. Ein Beispiel dafür ist die Geschichte von Juliann und seiner Mutter Johanne Cocles.

Die Geschichte von Juliann: Gehörlos und dennoch benachteiligt

Juliann ist ein gehörloser Jugendlicher. Er besucht eine Regelschule zusammen mit hörenden Mitschülern. Das Ziel der Schule: Inklusion. Also die Idee, dass alle – ob mit oder ohne Behinderung – gemeinsam lernen.

Das klingt zunächst gut, aber in der Praxis ist es sehr schwierig. Denn obwohl Juliann gebärdet, erhält er keinen Unterricht in seiner Sprache. Er bekommt Unterstützung durch eine sogenannte AESH – das ist eine Assistenzperson für Schüler mit Behinderung. Doch diese Begleitperson kann keine Gebärdensprache.

Johanne Cocles, seine Mutter, berichtet:

„Diese Begleiterin übersetzt mit Onomatopoesie (also Lautmalerei wie „mhm“ oder „pff“) und wildem Gestikulieren – ohne wirkliche Kenntnisse der Gebärdensprache.“

Diese improvisierte Hilfe ist für ein gehörloses Kind völlig unzureichend. Es führt dazu, dass Juliann sich enorm anstrengen muss, um dem Unterricht zu folgen. Er ist gezwungen, den Lehrkräften von den Lippen abzulesen – das ist mühsam und oft nicht möglich.

Kritik der Mutter: Keine geeigneten Strukturen für Gehörlose

Johanne Cocles ist selbst schwerhörig und kennt die Schwierigkeiten aus eigener Erfahrung. Sie ist enttäuscht von den französischen Behörden und dem Schulsystem:

„Die Menschen, die gehörlose Kinder unterstützen sollen, sind nicht ausgebildet, nicht qualifiziert und oft nicht einmal diplomiert.“

Sie kritisiert, dass gehörlose Kinder wie ihr Sohn keine echte Chance auf Bildung haben, weil sie die Inhalte nicht verstehen können. Denn Sprache ist der Schlüssel zur Bildung. Wenn der Unterricht nur mündlich (verbal) stattfindet, ohne Gebärdensprache, dann schließt das gehörlose Kinder aus.

Sie fordert:

„Wenn die Kurse in Gebärdensprache unterrichtet würden – wie es an einigen wenigen spezialisierten Schulen in Frankreich der Fall ist – hätten gehörlose Kinder ein viel höheres Bildungsniveau.“

Gebärdensprache = Identität

Für Johanne Cocles ist Gebärdensprache nicht nur ein Hilfsmittel. Sie ist viel mehr:
Sie ist Teil der Identität.

„Die Gebärdensprache ist unsere Muttersprache. Wir brauchen sie. Gehörlos zu sein ist unsere Identität.“

Diese Aussage zeigt, wie wichtig es für betroffene Familien ist, dass Gebärdensprache anerkannt und gefördert wird. Es geht um Respekt für die Kultur der Gehörlosen und ihre Rechte als sprachliche Minderheit.

Der ständige Kampf um Anerkennung

Johanne sagt:

„Wir kämpfen seit Jahren.“

Dieser Kampf ist anstrengend. Die Eltern müssen für jedes Recht ihrer Kinder kämpfen – für Dolmetscher, für gebärdensprachlichen Unterricht, für barrierefreie Kommunikation. Oft werden sie von den Behörden nicht ernst genommen. Die Schulen sind nicht vorbereitet. Lehrer sind nicht geschult. Es fehlen Ressourcen, aber vor allem fehlt oft der politische Wille.

Ein kleiner Lichtblick: Technik als Hilfe

Es gibt kleine Fortschritte. Zum Beispiel die App „RogerVoice“. Diese App erlaubt es, Telefongespräche in Echtzeit zu untertiteln. Sie wurde speziell für gehörlose Menschen entwickelt. Solche technischen Hilfsmittel können helfen, den Alltag zu erleichtern – aber sie ersetzen nicht die notwendige strukturelle Veränderung im Bildungssystem.

Fazit:

Trotz eines fortschrittlichen Gesetzes von 2005 ist die Realität für gehörlose Kinder in Frankreich weiterhin sehr schwierig. Der Fall von Juliann zeigt:

  • Es gibt zu wenige geschulte Fachkräfte für Gebärdensprache.
  • Gehörlose Kinder müssen sich an ein System anpassen, das nicht für sie gemacht ist.
  • Die Verantwortung wird auf Eltern und Kinder abgewälzt.
  • Gebärdensprache wird noch immer nicht selbstverständlich in Schulen genutzt.

Was es braucht, ist ein grundlegender Wandel: Anerkennung der Gebärdensprache als gleichwertige Unterrichtssprache, Ausbildung von Fachpersonal und echtes politisches Engagement.

Foto: EAN-LUC GOUBIN

Related Posts

This site is registered on wpml.org as a development site. Switch to a production site key to remove this banner.