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Taliban-Regime: Vergessene Opfer sind Taube Frauen

by info@deaf24.com

Seit der Machtübernahme der Taliban im August 2021 hat sich die Situation von Frauen und Mädchen in Afghanistan dramatisch verschlechtert. Bildung, Arbeit, öffentliche Präsenz und persönliche Freiheit sind ihnen fast vollständig entzogen worden. Besonders tragisch trifft diese Entwicklung gehörlose und behinderte Frauen – eine Gruppe, die ohnehin schon zu den verletzlichsten der Gesellschaft gehört. Unter dem neuen Regime erleben sie eine doppelte Diskriminierung: als Frauen und als Menschen mit Behinderung. Ihr Alltag ist geprägt von Angst, Armut, Isolation und dem Verlust jeder Perspektive.

 

Leben unter den Taliban: Eine Rückkehr in dunkle Zeiten

Mit der Rückkehr der Taliban an die Macht begann für viele Afghaninnen eine Zeit massiver Unterdrückung. Frauen dürfen vielerorts das Haus nicht mehr ohne männlichen Begleiter (Mahram) verlassen. Sie müssen sich vollständig verschleiern, ihre Stimmen werden in der Öffentlichkeit unterdrückt, und Bildung für Mädchen über die Grundschule hinaus ist verboten.

Internationale Organisationen sprechen von einer „Geschlechterapartheid“. Diese Bezeichnung ist keine Übertreibung – sie beschreibt die gezielte Ausgrenzung und Unterdrückung von Frauen aufgrund ihres Geschlechts. Wer gegen die Regeln verstößt, riskiert Haft, Folter oder öffentliche Bestrafung.

Doch während viele internationale Medien über den Verlust von Frauenrechten berichten, bleibt das Schicksal gehörloser Frauen weitgehend unbeachtet. Für sie ist die Situation noch gravierender.

 

Bildung: Ein verlorenes Recht für Taube Mädchen

Vor 2021 gab es in einigen Regionen Afghanistans Schulen und Hilfsprogramme für gehörlose Kinder, oft unterstützt von internationalen Organisationen. Diese Einrichtungen boten nicht nur Unterricht, sondern auch Gebärdensprachförderung und soziale Unterstützung.

Seit der Machtübernahme der Taliban sind fast alle dieser Schulen geschlossen. Lehrerinnen dürfen nicht mehr unterrichten, und weibliche Schüler dürfen keine Bildungseinrichtungen betreten. Spezialisierte Schulen für Kinder mit Hörbehinderung wurden verboten oder aufgegeben.

Gehörlose Mädchen verlieren damit ihre einzige Möglichkeit, Lesen, Schreiben oder Gebärdensprache zu lernen. Ohne Bildung fehlt ihnen jede Chance auf Selbstständigkeit und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Viele leben isoliert in ihren Familien, ohne Kontakt zur Außenwelt – und ohne Hoffnung auf eine bessere Zukunft.

 

Isolation und Kommunikationsverbote

Die Taliban-Regeln greifen tief in das soziale Leben ein. Frauen dürfen in vielen Gebieten nicht mehr öffentlich sprechen oder singen. Manche religiösen Führer haben sogar angeordnet, dass Frauenstimmen in der Öffentlichkeit nicht hörbar sein dürfen.

Für gehörlose Frauen ist das fatal: Sie sind auf visuelle oder körperliche Kommunikation angewiesen – auf Gebärden, Mimik, Gestik oder lautsprachliche Artikulation. In einem Umfeld, in dem Kommunikation eingeschränkt wird, führt das zu vollständiger Isolation.

Hinzu kommt, dass viele Männer, auch in Familien, die Gebärdensprache nicht verstehen oder ablehnen. Das führt dazu, dass gehörlose Frauen kaum mit Angehörigen oder Nachbarn kommunizieren können. Selbst unter Frauen werden Treffen und Gespräche zunehmend verboten oder streng kontrolliert. So entsteht eine doppelte Unsichtbarkeit: Sie können nicht sprechen, und sie dürfen sich nicht zeigen.

 

Armut und fehlende Unterstützung

Vor 2021 erhielten Menschen mit Behinderung in Afghanistan in begrenztem Umfang staatliche Unterstützung – etwa kleine Geldhilfen oder Zugang zu Hilfsorganisationen. Diese Programme sind inzwischen fast vollständig eingestellt.

Gehörlose Frauen berichten, dass Hilfsgelder gestrichen oder nur an Personen mit Beziehungen zu den Taliban verteilt werden. Viele leben in extremer Armut. Ohne Ausbildung oder Arbeit sind sie vollständig auf Verwandte angewiesen, die selbst oft kaum überleben können.

Einige werden von ihren Familien zwangsverheiratet, um finanzielle Lasten zu verringern. Andere werden verstoßen oder versteckt, weil ihre Behinderung als Schande gilt.

Für gehörlose Frauen bedeutet das nicht nur Armut, sondern auch völlige Abhängigkeit – ein Zustand, der Gewalt und Missbrauch Tür und Tor öffnet.

 

Gesundheit und fehlende Rehabilitation

Auch im Gesundheitswesen ist die Situation katastrophal. Viele Kliniken haben geschlossen, weibliches Personal wurde entlassen, und Frauen dürfen Männerärzte oft nicht ohne Mahram aufsuchen.

Für gehörlose Frauen ist die Lage besonders schwierig. Ärztinnen, die Gebärdensprache können, gibt es kaum noch. Videodolmetschdienste oder technische Hilfsmittel sind nicht verfügbar.

Psychosoziale Unterstützung – früher teils von internationalen NGOs angeboten – wurde von den Taliban verboten. Damit verlieren viele Frauen auch die letzte Möglichkeit, über Gewalt, Missbrauch oder Depressionen zu sprechen.

Folge: körperliche und seelische Leiden bleiben unbehandelt, Behinderungen verschlimmern sich, und viele Betroffene ziehen sich völlig aus dem Leben zurück.

 

Internationale Kritik und fehlende Konsequenzen

Die Vereinten Nationen, Amnesty International und Human Rights Watch verurteilen das Vorgehen der Taliban scharf. Sie sprechen von systematischer Gewalt gegen Frauen und von massiven Menschenrechtsverletzungen.

Mehrere UN-Gremien fordern, die Unterdrückung von Frauen in Afghanistan als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ einzustufen. Auch die besondere Lage gehörloser Frauen wird inzwischen in Berichten erwähnt – doch konkrete Maßnahmen bleiben aus.

Viele Hilfsorganisationen sind gezwungen, ihre Arbeit einzuschränken oder ganz zu beenden, weil die Taliban sie bedrohen oder ihnen den Zugang verwehren. Die internationale Gemeinschaft steht vor einem Dilemma: Hilfe zu leisten, ohne das Regime indirekt zu unterstützen.

 

Stimmen der Unsichtbaren

Einige afghanische Aktivistinnen, die im Exil leben, versuchen, auf das Schicksal gehörloser Frauen aufmerksam zu machen. Sie berichten von Fällen, in denen gehörlose Mädchen wegen ihrer Behinderung verspottet oder geschlagen wurden. Manche werden zwangsverheiratet, andere verschwinden spurlos.

Eine gehörlose Aktivistin aus Kabul, die heute in Europa lebt, sagt:

„Wir gehörlosen Frauen sind doppelt unsichtbar – als Frauen und als Menschen mit Behinderung. Niemand hört uns. Niemand sieht uns. Wir existieren nicht mehr.“

Diese Worte zeigen, dass die Notlage dieser Frauen nicht nur körperlich, sondern auch seelisch tiefgreifend ist.

 

Fazit: Ein doppeltes Schweigen – und ein Aufruf zum Handeln

Das Taliban-Regime hat Afghanistan in eine Zeit zurückgeworfen, in der Frauenrechte praktisch ausgelöscht sind. Für gehörlose und behinderte Frauen bedeutet das ein Leben in ständiger Angst, Isolation und Entwürdigung.

Ihre Lage ist eine der extremsten Formen von Menschenrechtsverletzung weltweit. Sie werden systematisch von Bildung, Kommunikation, Arbeit und medizinischer Versorgung ausgeschlossen.

Was jetzt nötig ist:

  • Internationale Organisationen müssen gezielt gehörlose und behinderte Frauen in Afghanistan unterstützen – auch über sichere digitale Wege oder in Nachbarländern.
  • Staaten und Medien sollten ihre Stimmen sichtbar machen, etwa durch Gebärdensprach-Reportagen und Dokumentationen.
  • Politische Entscheidungsträger müssen die Unterdrückung gehörloser Frauen als Menschenrechtsverbrechen anerkennen und entsprechend handeln.

Solange die Welt schweigt, bleibt das Schicksal dieser Frauen ungehört. Es ist Zeit, dass ihre Stimmen – und ihre Gebärden – endlich gesehen werden.

Photo by RDNE Stock project

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