Home Non udentiTechnikSignON-App: Brücke zwischen Laut- und Gebärdensprachen

SignON-App: Brücke zwischen Laut- und Gebärdensprachen

by info@deaf24.com

Viele Gehörlose und Schwerhörige kennen die Situation: Man reist in ein anderes Land, möchte sich in einem Hotel anmelden oder im Restaurant etwas bestellen – doch die Verständigung scheitert. Gebärdensprache wird nicht verstanden, Schriftkommunikation dauert oft zu lange, und nicht jede Person spricht Englisch oder eine andere Fremdsprache.

Genau an diesem Punkt setzt das europäische Projekt SignON an. Seit 2021 entwickelt das Team eine mobile App, die den Austausch zwischen Gebärdensprachen und Lautsprachen erleichtern soll. Das Ziel: Barrieren abbauen und die Kommunikation zwischen Gehörlosen, Schwerhörigen und Hörenden in Europa verbessern.

 

Was ist SignON?

SignON ist ein EU-gefördertes Forschungsprojekt. Es entwickelt eine App für automatische Übersetzungen zwischen ausgewählten Gebärdensprachen und gesprochenen Sprachen. Dabei werden unter anderem folgende Sprachen unterstützt:

  • Gebärdensprachen: Irische, Britische, Niederländische, Flämische und Spanische Gebärdensprache
  • Lautsprachen: Englisch, Irisch, Niederländisch und Spanisch

Die Vision: Ein Gehörloser kann in seiner Gebärdensprache signen, die App übersetzt dies in Text oder Sprache. Umgekehrt kann ein Hörender sprechen, und die App überträgt die Inhalte in Gebärdensprache – mithilfe eines virtuellen 3D-Avatars.

 

Ein Beispiel aus der Praxis

Eine Gehörlose aus Irland reist geschäftlich nach Spanien. Sie spricht Irische Gebärdensprache, versteht aber kein Spanisch. Am Hotel muss sie sich schnell registrieren, hat aber keine Zeit für lange schriftliche Kommunikation.

Mit der SignON-App könnte sie in ihrer Gebärdensprache signen. Die Anwendung würde den Inhalt in Spanisch übersetzen und als Text anzeigen. Der Hotelangestellte antwortet auf Spanisch, und die App gibt die Übersetzung zurück – diesmal in Form eines Avatars, der die Irische Gebärdensprache verwendet.

Solche Szenarien zeigen, wie groß das Potenzial für die tägliche Barrierefreiheit sein kann.

 

Welche Technik steckt dahinter?

Die App basiert auf Künstlicher Intelligenz (KI). Mehrere technische Komponenten spielen zusammen:

  1. Erkennung von Gebärdensprache: Bewegungen der Hände, Mimik und Körperhaltung müssen zuverlässig erkannt und analysiert werden.
  2. Spracherkennung: Gesprochenes wird automatisch in Text umgewandelt.
  3. Übersetzungssysteme: KI-Modelle übertragen die Inhalte von einer Gebärden- in eine Lautsprache – und umgekehrt.
  4. Avatare: 3D-animierte Figuren geben die Übersetzung in Gebärdensprache wieder.

Besonders herausfordernd ist die enorme Menge an hochwertigen Sprach- und Gebärdensprachdaten, die nötig sind, um verständliche Übersetzungen zu erzeugen.

 

Die Probleme mit den Daten

Ein zentrales Hindernis: Es gibt zu wenig gute Daten in Gebärdensprachen. Oft stammen Trainingsdaten von hörenden Dolmetschern, die Gebärdensprache nur als Fremdsprache gelernt haben. Das kann dazu führen, dass die Übersetzungen nicht den natürlichen Ausdruck von Muttersprachlern widerspiegeln.

Das Problem:

  • Gehörlose Nutzer*innen müssten ihre eigene Sprache anpassen, um verstanden zu werden.
  • Kulturelle Unterschiede in der Gebärdensprache könnten verloren gehen.
  • Qualität und Akzeptanz der Übersetzungen hängen stark von den Daten ab.

Darum gilt: Nur mit authentischen Gebärdensprachdaten von gehörlosen Muttersprachlern kann eine faire und funktionierende Lösung entstehen.

 

Co-Creation: Zusammenarbeit mit der Community

Das Projekt verfolgt bewusst den Ansatz der Co-Creation. Das bedeutet:

  • Gehörlose, Schwerhörige und ihre Organisationen sind von Anfang an beteiligt.
  • Sie helfen, die wichtigsten Anwendungsszenarien zu definieren.
  • Die Community gibt Rückmeldungen, wie verständlich und nützlich die App ist.

So soll verhindert werden, dass die App an den Bedürfnissen der Nutzer vorbeientwickelt wird.

 

Forschung und Ausblick

Am 22. September 2023 – kurz vor dem Internationalen Tag der Gebärdensprache – fand in Brügge (Belgien) ein großes SignON-Workshop statt. Dort wurden die bisherigen Ergebnisse vorgestellt und die Herausforderungen diskutiert. Außerdem präsentierte das Team ein White Paper mit Empfehlungen an Politik und Forschung.

Das Projekt läuft offiziell bis Ende 2023. Danach wird entschieden, wie die App weiterentwickelt und verbreitet werden kann.

 

Chancen und Risiken für die Deaf-Community

Für viele Gehörlose klingt SignON nach einem wichtigen Fortschritt. Die App könnte:

  • Kommunikation im Ausland erleichtern
  • im Alltag (z. B. Hotel, Restaurant, Arztbesuch) Barrieren abbauen
  • mehr Selbstständigkeit ermöglichen

Doch es gibt auch Risiken:

  • Übersetzungen könnten ungenau sein und Missverständnisse erzeugen.
  • Wenn die Datenlage schwach bleibt, droht die Gefahr, dass die App eine künstliche, unnatürliche Gebärdensprache nutzt.
  • Avatare wirken für manche Nutzer*innen fremd und unpersönlich im Vergleich zu echten Dolmetschern.

 

Tipps für die Nutzung und Erwartungen

  1. Ergänzung, kein Ersatz: Die App soll echte Dolmetscher nicht ersetzen, sondern in Situationen helfen, in denen kein Dolmetscher verfügbar ist.
  2. Geduld haben: Da die App auf KI basiert, wird die Qualität mit der Zeit besser – je mehr Daten vorhanden sind.
  3. Feedback geben: Gehörlose sollten ihre Erfahrungen zurückmelden, damit die Entwickler wissen, was verbessert werden muss.
  4. Kritisch bleiben: Technik kann helfen, darf aber nicht die Rechte auf Dolmetscher und barrierefreie Kommunikation schwächen.

 

Fazit

SignON ist ein spannendes Projekt, das zeigt, wie Technologie Barrieren abbauen kann. Die Idee, Gebärden- und Lautsprachen direkt miteinander zu verbinden, ist ein Meilenstein. Gleichzeitig macht das Projekt deutlich, wie schwierig es ist, faire und qualitativ hochwertige Lösungen für Gebärdensprachen zu entwickeln.

Für die Deaf-Community ist klar: Nur wenn gehörlose Menschen selbst aktiv mitgestalten, können Apps wie SignON wirklich hilfreich sein. Es bleibt spannend, ob die App nach Projektende weitergeführt wird – und ob sie im Alltag tatsächlich den großen Unterschied machen kann, den viele sich erhoffen.

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