Der Landesverband Bayern der Gehörlosen (LVBY) hat kürzlich auf Instagram 3.000 Follower gefeiert und gleichzeitig die Verabschiedung seines langjährigen Vorsitzenden Bernd Schneider angekündigt. Nach zwölf Jahren an der Spitze des Landesverbands möchte er sich künftig auf seine Aufgaben bei der Deutschen Gesellschaft der Hörbehinderten konzentrieren.
Deaf24 nimmt diesen Anlass zum Anlass, Bilanz zu ziehen – mit Anerkennung, aber auch mit notwendiger Kritik.
Anerkennung für Engagement – aber was wurde erreicht?
Zunächst ist anzuerkennen, dass Bernd Schneider sich über viele Jahre ehrenamtlich engagiert hat. Er übernahm die Verantwortung in einer Phase, in der der Verband laut eigenen Angaben nur zwei Hauptmitarbeitende beschäftigte. Heute zählt der LVBY ein Team von über 20 Personen – eine beachtliche strukturelle Entwicklung.
Auch einzelne Projekte wie die Vereinsberatung, die Assistenzbörse oder das Projekt „Kulturelle Brücken“ zeigen, dass der Verband sich bemüht hat, neue Impulse zu setzen.
Diese positiven Entwicklungen dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Verband in vielen zentralen Bereichen aus Sicht zahlreicher Betroffener nicht ausreichend wirksam war.
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Unverändert hohe Barrieren – zentrale Probleme ungelöst
Trotz zwölf Jahren kontinuierlicher Führung sind viele grundlegende Probleme in Bayern nicht gelöst worden:
Kommunikationsbarrieren im Gesundheitssystem
Krankenhäuser sind weiterhin ein großes Problemfeld für Gehörlose. In akuten Situationen fehlen oft Gebärdensprachdolmetscher, der Zugang zu medizinischen Leistungen ist nicht gesichert. Die Notwendigkeit eines barrierefreien Gesundheitssystems wurde zwar wiederholt betont – konkrete Lösungen sind aber nicht umgesetzt worden.
Barrieren bei Behörden und Ämtern
Der Zugang zu Ämtern bleibt für Gehörlose kompliziert. Viele berichten von fehlenden Dolmetschern, nicht barrierefreien Websites, fehlendem Verständnis für Gebärdensprache und einer Kommunikation, die auf schriftlicher Ebene kaum funktioniert. Auch hier fehlen landesweit einheitliche Strukturen, um diese Hürden systematisch abzubauen.
Mangelhafte Organisation der Gebärdensprachdolmetscher (GSD)
Die Dolmetschvermittlungen in Bayern sind häufig schlecht organisiert. Es kommt zu langen Wartezeiten, Ausfällen ohne Ersatz, und die Dolmetschereinsätze sind oft nicht effizient geplant. Gehörlose berichten, dass sie selbst nach mehreren Wochen keinen Dolmetscher bekommen, während andere über private Netzwerke kurzfristig Hilfe erhalten. Das führt zu ungleicher Behandlung und wirft Fragen zur Fairness auf.
Auch die Zusammenarbeit mit nicht-diplomierten Kommunikationshelfern wurde vom LVBY nicht gefördert – obwohl diese in vielen Fällen kulturell näher an der Gehörlosengemeinschaft stehen und oft flexibler agieren können. Stattdessen hält man weiterhin an formellen Qualifikationen fest, ohne den tatsächlichen Bedarf der Community angemessen zu berücksichtigen.
Zusammenarbeit mit Vereinen und Basisstrukturen
Die Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen – etwa dem GMU (Gehörlosenverband München und Umland e.V.) – gilt als schwierig. Es gab wiederholt Berichte über fehlende Kommunikation, mangelnde Koordination und intransparente Prozesse. Statt einer starken, einheitlichen Interessenvertretung tritt die Gehörlosengemeinschaft in Bayern häufig zersplittert auf.
Was Gehörlose wirklich brauchen – und was fehlt
Die inhaltliche Ausrichtung des LVBY unter Bernd Schneider war häufig projektorientiert – was grundsätzlich positiv ist. Jedoch wurden die zentralen strukturellen Barrieren in den Bereichen Bildung, Arbeit, Gesundheitsversorgung und politische Teilhabe nicht effektiv angegangen. Auch bei der gesetzlichen Verankerung der Gebärdensprache, der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Bayern oder bei der Stärkung politischer Teilhabe blieb der LVBY vergleichsweise zurückhaltend.
Viele Gehörlose haben den Eindruck, dass Sichtbarkeit auf Social Media und Projektförderungen im Vordergrund standen – nicht aber die direkte Verbesserung ihrer Lebensbedingungen.
Hoffnung auf Neuausrichtung
Mit dem Ausscheiden von Bernd Schneider besteht die Chance für einen Neuanfang. Deaf24 verbindet damit die Hoffnung, dass der neue Vorstand:
- eine stärkere Nähe zur Basis aufbaut,
- strukturelle Probleme aktiv angeht,
- Verantwortung übernimmt für die tägliche Realität der Gehörlosen,
- und die Zusammenarbeit mit anderen Organisationen verbessert.
Zugleich sollte der Verband transparenter kommunizieren, kritische Rückmeldungen zulassen und sich der öffentlichen Debatte stellen, anstatt diese zu vermeiden.
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Fazit von Deaf24
Die vergangenen zwölf Jahre unter der Leitung von Bernd Schneider zeigen ein gemischtes Bild: Personeller Ausbau und Projektentwicklung auf der einen Seite – fehlende Lösungen bei zentralen Alltagsproblemen auf der anderen. Die Lebenssituation vieler Gehörloser in Bayern hat sich dadurch nicht wesentlich verbessert.
Deaf24 wird weiterhin kritisch, aber konstruktiv begleiten, was in Bayern geschieht – und bleibt dabei vor allem eines: der Stimme der Gehörlosen verpflichtet.
Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

