Gebärdensprache ist eine vollwertige, eigenständige Sprache. Viele Menschen – auch Fachleute – glauben noch immer, dass sie nur eine Nachahmung der Lautsprache sei. Das ist falsch. Gebärdensprache entsteht nicht im Klassenzimmer oder durch Politik, sondern durch die tägliche Kommunikation gehörloser Menschen untereinander.
Wie bei allen Sprachen ist auch die Gebärdensprache nicht plötzlich an einem Ort entstanden. Sie hat sich über Jahrhunderte hinweg auf natürliche Weise gebildet – unabhängig in verschiedenen Regionen der Welt. Heute gibt es über 200 verschiedene Gebärdensprachen weltweit. Jede hat ihre eigene Geschichte, ihre eigene Struktur und ihre eigene Kultur.
In diesem Beitrag erfährst du genau, wie, wo und wann die Gebärdensprache entstand – verständlich erklärt, sorgfältig recherchiert und ohne juristische Fachbegriffe.
Wie entstand die Gebärdensprache?
Gebärdensprache entsteht überall dort, wo gehörlose Menschen regelmäßig miteinander kommunizieren. Wenn mehrere Gehörlose zusammenleben oder arbeiten, entwickeln sie ganz automatisch ein gemeinsames System aus Zeichen, Bewegungen, Mimik und Körperhaltung.
Das ist ein natürlicher Prozess – genauso wie beim Sprechenlernen von hörenden Kindern. Niemand muss die Sprache „erfinden“. Sie wächst mit der Zeit, wird weiterentwickelt und von Generation zu Generation weitergegeben.
Gebärdensprache ist deshalb keine künstliche Sprache, keine Zeichensammlung und keine Nachbildung von Lautsprache. Sie hat ihre eigene Grammatik, Syntax und Struktur.
Zum Beispiel:
- Die Wortstellung in der Deutschen Gebärdensprache (DGS) ist oft anders als im Deutschen.
- Die Mimik ist nicht nur Ausdruck – sie gehört zur Grammatik!
- Gebärdensprache ist visuell, nicht akustisch – deshalb hat sie eigene Regeln.
Wo entstand die Gebärdensprache?
Gebärdensprache ist nicht an einem einzigen Ort entstanden. Sie entwickelte sich überall auf der Welt – unabhängig voneinander. Überall, wo gehörlose Menschen gelebt haben, entstanden mit der Zeit eigene Gebärdensprachen.
Beispiele für verschiedene nationale Gebärdensprachen:
- DGS – Deutsche Gebärdensprache (Deutschland)
- ÖGS – Österreichische Gebärdensprache
- ASL – American Sign Language (USA, Kanada)
- LSF – Langue des Signes Française (Frankreich)
- BSL – British Sign Language (Großbritannien)
- LIS – Lingua dei Segni Italiana (Italien)
- JSL – Japanese Sign Language (Japan)
Diese Sprachen sind nicht untereinander verständlich – genau wie Deutsch, Englisch und Französisch für Hörende unterschiedlich sind.
Interessant:
- ASL (American Sign Language) ist nicht mit der englischen BSL verwandt, sondern basiert auf der französischen LSF.
- In Afrika, Südamerika und Asien gibt es oft regionale Gebärdensprachen, die sich stark von bekannten westlichen Sprachen unterscheiden.
Wann begann man, Gebärdensprache zu nutzen?
Gehörlose Menschen haben schon immer kommuniziert – also gibt es Gebärdensprachen seit Jahrtausenden. Schriftliche Belege sind jedoch selten, da viele frühe Quellen von hörenden Menschen geschrieben wurden, die Gebärdensprache oft nicht verstanden oder sie für „ungebildet“ hielten.
Wichtige historische Meilensteine:
- Antike: Schon in der griechischen und römischen Zeit gibt es Berichte über Menschen, die mit Händen kommunizierten.
- 16. Jahrhundert (Spanien): Der spanische Mönch Pedro Ponce de León unterrichtete erstmals gehörlose Kinder mit Gesten.
- 1755 (Frankreich): Der französische Priester Abbé de l’Épée gründete eine Schule in Paris und arbeitete mit einer Form der Gebärdensprache – die spätere LSF.
- 1817 (USA): Thomas Gallaudet brachte die französische Gebärdensprache in die USA. Daraus entstand die American Sign Language (ASL).
- 19. Jahrhundert (Deutschland): Es entstanden Gehörlosenschulen, z. B. in Leipzig oder Berlin. DGS wurde benutzt, aber später durch den Oralismus unterdrückt – Gehörlose mussten sprechen lernen und durften keine Gebärden mehr verwenden.
Die offizielle Anerkennung von Gebärdensprachen begann erst Ende des 20. Jahrhunderts. In Deutschland wurde die DGS erst 2002 im Sozialgesetzbuch als Sprache anerkannt.
Tipps: Das solltest du über Gebärdensprache wissen
- Gebärdensprache ist keine internationale Sprache. Es gibt keine „Weltsprache“ in Gebärden. Internationale Gebärden (International Sign) gibt es nur bei Konferenzen oder im Sport – aber sie sind stark vereinfacht.
- Gebärdensprache ist nicht pantomimisch. Sie nutzt keine Theatergesten, sondern eine komplexe Grammatik, Mimik, Körperhaltung und visuelle Regeln.
- Nicht alle gehörlosen Menschen sprechen dieselbe Gebärdensprache. Sogar innerhalb eines Landes gibt es regionale Dialekte und Unterschiede – genau wie im Deutschen.
- Gebärdensprachdolmetscher brauchen eine lange Ausbildung, weil die Sprache sehr komplex ist – nicht einfach nur „Übersetzung mit Händen“.
- Gehörlose Menschen haben durch Gebärdensprache Zugang zu Bildung, Kultur und Gesellschaft. Ohne sie wären sie sprachlich ausgeschlossen.
Fazit: Gebärdensprache ist alt, reich und lebendig
Gebärdensprache ist keine Erfindung der Neuzeit. Sie ist eine natürlich gewachsene Sprache, entstanden durch das Leben, die Kommunikation und den Austausch gehörloser Menschen.
Sie ist überall auf der Welt unabhängig entstanden und gehört genauso zur menschlichen Sprachvielfalt wie Deutsch, Arabisch oder Chinesisch.
Obwohl sie viele Jahrhunderte unterdrückt wurde, hat sie überlebt – und wird heute wieder mehr anerkannt. Sie ist ein zentraler Bestandteil der Deaf Culture (Gehörlosenkultur) und Ausdruck von Identität, Selbstbestimmung und Gemeinschaft.
Tipp zum Schluss: Wer mit gehörlosen Menschen kommunizieren möchte, sollte offen sein und sich auf ihre Sprache einlassen. Ein Gebärdensprachkurs lohnt sich – nicht nur sprachlich, sondern auch menschlich.

