Musik gilt oft als etwas, das man hören muss. Doch für viele taube Menschen ist Musik auch ein Erlebnis – über Vibrationen, visuelle Eindrücke und den Rhythmus des Körpers. Ein beeindruckendes Beispiel dafür ist die Geschichte von David Le Gendre. Er ist von Geburt an stark schwerhörig und später vollständig taub geworden. Trotzdem hat er nie aufgehört, seiner Leidenschaft für Musik nachzugehen. Heute steht er am Dirigentenpult und zeigt, dass Musik nicht nur über die Ohren, sondern auch über Herz, Körper und Augen erlebt werden kann.
Kindheit mit Musik – trotz Taubheit
David wuchs mit einer schweren Hörbehinderung auf. Seine Mutter erkannte früh, dass er neugierig auf die Welt der Klänge war. Sie kaufte ihm ein Klavier, das sein Leben verändern sollte.
Als Kind spürte David oft die Vibrationen von Musik – im Boden, im Holz, in den Möbeln. Diese Schwingungen faszinierten ihn. Er wollte wissen, woher sie kommen und wie man sie verstehen kann. Als er erfuhr, dass auch Beethoven taub war und trotzdem Musik komponierte, war er begeistert. Das motivierte ihn, selbst Klavier zu lernen.
Sein Start war nicht einfach. Er konnte die Noten nicht hören, sondern musste sie visuell und auswendig lernen. Mit Hilfe seiner Lehrer entwickelte er eigene Methoden: Er lernte die Bewegungen der Finger, die Notenbilder und spürte gleichzeitig die Vibrationen des Instruments.
Die Ausbildung am Klavier
Unterricht nahm David bei Julien Queriaud, einem erfahrenen Klavierlehrer. Für den Lehrer war es eine besondere Herausforderung, da Rhythmus und Taktgefühl bei tauben Schülern schwer zu vermitteln sind. Zwei Jahre lang arbeiteten beide intensiv an der sogenannten „Körperpulsation“. David lernte, den Rhythmus durch Klopfen auf den Körper zu fühlen.
David war ein sehr aufmerksamer Schüler. Er las gut, konnte schnell lernen und übte fleißig. Zwar war das Tempo am Anfang schwierig, aber durch Geduld und Ausdauer machte er große Fortschritte. Bald spielte er nicht nur einfache Stücke, sondern konnte sich auch in klassischer Musik ausdrücken.
Der Traum vom Dirigieren
Nach einigen Jahren am Klavier wollte David noch mehr: Er träumte davon, Dirigent zu werden. Für viele klang das unmöglich – wie soll ein tauber Mensch ein Orchester leiten?
Doch David ließ sich nicht entmutigen. Er lernte bei Stéphane Bonneau an den „Ateliers musicaux Syrinx“ in Poitiers. Dort erhielt er Unterricht im Dirigieren. Anfangs war es schwer: Dirigieren hat viele Regeln, Handbewegungen und Zeichen, die man auswendig können muss. David musste jedes Detail visuell erfassen und im Gedächtnis behalten.
Mit viel Fleiß lernte er die Gesten und Signale, die ein Dirigent benutzt, um Musiker zu führen. Nach Monaten intensiven Trainings stand er schließlich selbst vor einem Orchester.
Erste Schritte am Pult
Die Musiker des Vereins waren neugierig und auch etwas skeptisch. Würde ein tauber Dirigent sie wirklich führen können? Doch bald zeigte sich: David hatte ein besonderes Talent.
Seine Kollegen beschrieben die Proben als „spannend“ und „bereichernd“. Zwar war der Wechsel von einem erfahrenen Dirigenten zu einem Anfänger ungewohnt, doch sie lernten alle dazu. Die Musiker mussten stärker auf Gesten achten, David wiederum passte sich an ihre Spielweise an.
Mit der Zeit entstand eine besondere Harmonie zwischen Dirigent und Orchester. Es war nicht nur ein musikalisches, sondern auch ein menschliches Erlebnis – geprägt von gegenseitigem Vertrauen und Offenheit.
Musik über Vibrationen und Blickkontakt
David erklärt, dass er Musik nicht hört, sondern fühlt. Wenn er vor einem Orchester steht, spürt er die Schwingungen über seine Füße und den ganzen Körper. Gleichzeitig beobachtet er genau: seine Augen wandern von einem Musiker zum nächsten.
Alle Ratschläge seiner Lehrer über Lautstärke oder Klangqualität hat er auswendig gelernt. Er weiß, wie ein Stück klingen sollte, und nutzt sein Gedächtnis und seine Beobachtungsgabe, um das Orchester zu leiten.
Ein neues Verständnis von Musik
Für die Musiker war es eine besondere Erfahrung, von einem tauben Dirigenten geführt zu werden. Manche erzählten, dass sie dadurch selbst aufmerksamer wurden. Sie mussten stärker auf Bewegungen und Körpersprache achten.
Das führte zu einem neuen Verständnis von Musik: Sie besteht nicht nur aus Tönen, sondern auch aus Gesten, Rhythmen und Emotionen. Viele Mitglieder sagten später, dass sie gemeinsam mit David gewachsen seien – sowohl musikalisch als auch menschlich.
Ziele und Zukunftspläne
David hat schon viel erreicht. Doch er will noch mehr: Er möchte sein Wissen an andere weitergeben. Besonders wichtig ist ihm, dass taube und hörende Menschen die gleichen Chancen haben. Jeder solle Musik lernen dürfen – ob Klavier, Gitarre, Schlagzeug oder sogar Dirigieren.
Sein Traum ist es, ein Diplom als Musiklehrer zu machen. Damit könnte er selbst Schüler unterrichten und seine Erfahrungen weitergeben. Doch sein größter Wunsch bleibt: ein professioneller Dirigent zu werden.
Tipps für die Deaf-Community
Die Geschichte von David zeigt, dass Musik auch für taube Menschen möglich ist. Hier ein paar Anregungen:
- Vibrationen nutzen: Viele Instrumente erzeugen starke Schwingungen, die man fühlen kann.
- Visuell lernen: Noten und Bewegungen kann man mit Farben, Symbolen oder Videos besser verstehen.
- Gemeinsam üben: In einer Gruppe lernt man schneller und bekommt Motivation.
- Eigene Wege finden: Jeder Mensch hat eine andere Wahrnehmung. Manche fühlen den Rhythmus im Körper, andere konzentrieren sich mehr auf visuelle Zeichen.
- Vorbilder suchen: Geschichten wie die von David zeigen, dass vieles möglich ist.
Fazit
Die Geschichte von David Le Gendre beweist, dass Musik keine Grenzen kennt. Auch ohne Gehör kann man Klavier spielen, ein Orchester leiten und seine Leidenschaft mit anderen teilen. Entscheidend sind Mut, Ausdauer und Unterstützung durch die Gemeinschaft.
David zeigt: Musik ist nicht nur etwas, das man hören muss. Sie kann auch gesehen, gespürt und erlebt werden. Sein Traum, ein anerkannter Dirigent zu werden, ist ein Symbol dafür, dass auch die Deaf-Community in allen Bereichen der Kultur präsent sein kann – gleichberechtigt und voller Leidenschaft.

